Hrsg. von Eugen Blume und Catherine Nichols zur gleichnamigen Ausstellung vom 03.10.2008 – 25.01.2009 in der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin mit Texten unter anderem von Johannes Meinhardt, Thomas Macho, Klaus Staeck und Dieter Koepplin, Staatliche Museen zu Berlin – Stiftung Preussischer Kulturbesitz / Steidl, Göttingen, 2008, 408 S., ISBN 978-3-86521-784-4, zahlreiche s/w- und Farbabbildungen, Hardcover gebunden, Format 30,5 x 24,7 cm, € 49,--
Für Christina Weiss, Peter-Klaus Schuster und Eugen Blume vereint Joseph Beuys’ Motto „Jeder Mensch ist ein Künstler“ in sich „die uneingelöste trinitarische Gerechtigkeitsformel der Französischen Revolution von 1789: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das Kunstwerk wird nicht nur zum Prozess, zur Aktion, zur ‚permanenten Konferenz’, sondern die Entwicklung der Gesellschaft insgesamt sollte als plastischer Prozess verstanden werden, den freie Individuen nach schöpferischen Prinzipien gestalten… Revolution war in den späten 1960er Jahren … das tägliche Motto der marxistisch geprägten Studentenrevolten“.
Wenn Joseph Beuys 1971 den Satz „Die Revolution sind wir“ schreibt, denkt er beim „Noi“ an die für seinen revolutionären Weg wichtigen und im ‚Noi’ „vereinten sinnlichen und übersinnlichen ‚Kooperateure’“, die für Beuys „bis in das Mineralische, in das Tierreich, bis zu den Geheimnissen der Schamanen magischer Kulturen, in das alte Ägypten, zu den Kaskadeuren, den Clowns des Lebenszirkus und bis zu den ‚Begriffspersonen’ oder geistigen Freunden, die wie Sokrates, Plato, Paracelsus, Leonardo da Vinci, Anarcharsis Cloots, Friedrich Nietzsche, Rudolf Steiner, James Joyce, Marcel Duchamp, Marcel Broodthaers real oder als Übertragungsphantasien das Leben von Beuys berührten. ‚Zu seinem Grunde hin muss er (der Mensch) mit den Tieren, den Pflanzen, der Natur verbunden werden, sowie gegen Oben mit den Engeln oder den Geistern. Lasst uns von neuem über diese Kräfte sprechen. Lasst uns fragen, ob es nicht eine Sache von Christus oder Gott ist?’ (Joseph Beuys)“ (Eugen Blume). Die von Beuys angemahnte, herbeigesehnte und in Projekten wie den 7000 Eichen anfänglich realisierte Revolution verweist deshalb über Vorstellungen politischer Revolutionen hinaus und zurück in die Vorstellung vom ‚neuen Menschen’ im Christentum und in der säkularen Moderne.
Gottfried Küenzlen hat in seiner Studie „Der neue Mensch. Zur säkularen Religionsgeschichte der Moderne“ unter anderem darauf hingewiesen, dass sich die Suche nach dem neuen Menschen in den unterschiedlichsten geistigen, weltanschaulichen und ideologischen Orientierungen und den von ihnen bestimmten geschichtlichen Bewegungen und Strömungen finden lässt. Im 20. Jahrhundert ist sie zentraler Hoffnungsgehalt und Erlösungsziel eines säkularisierten Glaubens geworden. Insofern liegt es nahe, Beuys’ Bekenntnis „Die Revolution sind wir“ als säkulares Glaubensbekenntnis zu verstehen.
Der im Rahmen der Berliner Ausstellungsreihe „Kult des Künstlers“ erschienene umfassende Katalog beschäftigt sich in 15 Kapiteln unter anderem mit den Transformationsvorstellungen von Joseph Beuys, mit dem, was man Liebe nennen kann und mit seinen Vorstellungen vom Ende des 20. Jahrhunderts. In den Essays des Bandes widmet sich Peter-Klaus Schuster dem erweiterten Kunstbegriff von Joseph Beuys, Barbara Gronau den Dimensionen des Performativen und Thomas Macho den Tieren im Werk von Joseph Beuys.
(ham)