Publikation zu den gleichnamigen Ausstellungen vom 22.06.- 27.07.2008 im Kunstraum Hüll, vom 12.10. – 02.11.2008 in der St. Johanniter-Evangelist-Kirche, Berlin, vom 14.11.2008 – 11.01.2009 im Kunstverein Ludwigshafen und vom 27.02. – 22.03.2009 in der Stadtgalerie Saarbrücken.Hsrg. von KunstRaum-Hüll / Kunstverein Ludwigshafen / Stadtgalerie Saarbrücken, mit Texten von Barbara Auer, Wolfgang Ullrich, Ernest W. Uthemann / dt./engl. (Übers. Greta Dunn).Verlag für moderne Kunst, Nürnberg, 2008, ISBN 978-3-940748478, 80 S., zahlr. Farbabbildungen, Dokumentation-DVD, gebunden, Format 24 x 22,5 cm, € 24,--
Mit ca. 100 cm Körpergröße auf Augenhöhe mit den Ausstellungsbesuchern? Die 1968 in München geborene Künstlerin Veronika Veit lässt ihre physiognomisch äußerst differenzierten, anatomisch realistisch anmutenden und in unspektakuläre Alltagskleidung gesteckten Figuren den Spieß umdrehen: Wer den Männern und Frauen im Ausstellungskontext begegnet, fühlt sich nach anfänglicher körperlicher Überlegenheit von den zwergwüchsigen Artgenossen plötzlich beobachtet. Wie Swifts ‚Gulliver’ wird man sich bewusst, wie unser Blick auf die Welt stets ausgerichtet ist an unseren eigenen Körpermaßen. Die amerikanischen Bildhauer Duane Hanson und John de Andrea sorgten bereits in den 1960er Jahren mit der Präsentation ihrer lebensgroßen und bis in die Struktur und Tönung der Haut täuschend echt geformten Menschen im white cube für Aufsehen. Gleichwohl war hier „auf Augenhöhe“ durchaus wörtlich gemeint. Im Ausstellungskontext wurden die Besucher allein schon durch die offenkundige soziale Herkunft und die für einen Ausstellungsraum unüblichen Tätigkeiten der Figuren irritiert.
Die Figuren unterschiedlichen Alters und Geschlechts von Veronika Veit – konsequenterweise kommen wegen der Größenverhältnisse keine Kleinkinder vor - provozieren hingegen durch ihre scheinbare Unauffälligkeit als auf Kindergröße geschrumpfte Ausstellungsbesucher. In der Ausprägung der einzelnen Charaktere, an ihrer überlegten Platzierung im Raum lässt sich rückverfolgen, wie sich Veronika Veit, die die menschliche Figur aus ihren Installationen zunächst völlig ausgeschlossen hatte, ihrer künstlerischen Herkunft als Bildhauerin besinnt. Dem Studium bei Hans Ladner, Professor für Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste in München, folgen ein DAAD-Arbeitsaufenthalt in Großbritannien und Arbeitsstipendien des Kunstfonds und der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Der Gefahr, sich allein in Variationen und Konstellationen ihrer Figuren zu erschöpfen, versucht die Künstlerin durch Einbeziehung neuer Medien zu entgehen. Eine interessante Weiterentwicklungen ihrer Arbeit zeigt die der Publikation beigelegte DVD, wo Veronika Veit die Schnittstelle zwischen den Figuren und ihrer Umgebung einerseits und ihrer angedeuteten Tätigkeiten andererseits medial in Bild und Ton ergänzt und erweitert. Hier zeigt sich, dass sie – wie Wolfgang Ullrich in seinem Textbeitrag treffend feststellt – zur „Soziologin“ geworden ist, die ihren „Zwergen“ (Ernest W. Uthemann) einen Charakter und eine Biographie buchstäblich auf den Leib schreibt, wodurch „dem Betrachter steife, aus künstlerischer Unbeholfenheit verfremdet-surreal wirkende Figuren erspart“ bleiben. Neben Wolfgang Ullrich liefern die Textbeiträge von Barbara Auer und Ernest W. Uthemann weitere Informationen zum künstlerischen Entwicklungsprozess der Künstlerin und aufschlussreiche Anregungen im interpretatorischen Blick auf das Werk. Die Abbildungen, die die Größenrelationen anschaulich berücksichtigen, und die flüssigen Übersetzungen ins Englische von Greta Dunn runden eine qualitativ hochwertige Publikation ab, wie man sie vom Verlag für moderne Kunst Nürnberg gewohnt ist.
(Stefan Graupner)