Wilhelm Fink Verlag München, 2012, ISBN 978-3-7705-5218-4, 276 S., 56 s/w-Abbildungen, Broschur, Format 23,3 x 15,8 cm, € 34,90
Jeff Koons wie Reliquien in beleuchteten Plexiglaskästen inszenierten fabrikneuen Hoover-Staubsauger haben mich auf einer der Kölner Kunstmessen in den 1980er Jahren so irritiert, fasziniert und angefressen, dass ich ernsthaft überlegt habe, eine der Arbeiten zu kaufen. Der Kauf ist am allzu knappen Kunstbudget und am Widerspruch meiner Frau gescheitert. Als Gudrun Inboden in den 1990er-Jahren neben Koons neuer ‚Made in Heaven'-Serie seine Basketbälle in Wassertanks aus der Equilibrium-Serie und seinen Johannes den Täufer aus Porzellan präsentiert hat, habe ich mich über die Banalität der Motive geärgert, über die Grandiosität der als kitschig empfundenen Motive gefreut und die Nobilierungs- und Verkaufsstrategie der nahezu gleichzeitig in drei Kontinenten präsentierten ‚Made in Haven'-Serie bewundert. Über die tieferen Gründe der gegensätzlichen Gefühlslagen habe ich weder in den 1980er- noch in den 1990er-Jahren tiefergehend nachgedacht. Die jetzt von Raphaël Bouvier vorgelegte überarbeitete Fassung seiner 2010 von der Ruhr-Universität Bochum angenommene Dissertation beleuchtet die bisher nicht wahrgenommene religiöse Grundierung dieser Gefühlslagen und erklärt ihre Heftigkeit: Für Bouvier ist das Werk von Jeff Koons in einem weiten Sinn religiös grundiert. Auf die Frage, ob er religiös sei, hat er zwar mit Nein geantwortet, aber er bleibt bei diesem Nein nicht stehen: „No, but I've always been amazed at the complexity of things and interested in the spiritual in the sense that there are greater things outside of the self" (Jeff Koons). „Wenn Koons' Haltung also nicht als religiös und im streng christlichen Sinn charakterisiert werden darf, so ist ihr doch der Glaube an eine transzendente Wirkung der Dinge inhärent, der sich in der ‚sakralen' Aura seiner Objekte, Skulpturen und Bilder widerspiegelt. Würde man hinsichtlich von Koons Arbeiten zwar gewiss nicht von einer ‚Kunstreligion' im romantischen Sinne sprechen, so finden sich gleichwohl Spuren jenes ‚religiös inspirierten Kunstmythos', wie ihn etwa Hans Belting bezüglich der Arbeiten Joseph Beuys artikuliert hat" (Raphaël Bouvier). Zum zentralen Bezugspunkt wird das Motiv der Taufe. Für Bouvier greift Koons das Motiv auf, säkularisiert und transformiert es und macht es zum Leitmotiv seines Schaffens. „Hatte Thomas Zaunschirm in Bezug auf Koons' Arbeit noch von der ‚Kunst als Sündenfall' gesprochen und damit das Augenmerk vor allem auf die ... ‚Tabuverletzungen' des Künstlers gerichtet, soll im Folgenden versucht werden, eine Deutung von dessen Kunst als ‚Taufe' zu erproben, die dem Konzept des Sündenfalls zwar gänzlich entgegengesetzt ist, diesen jedoch als Grundlage und Voraussetzung hat... Mit der Erörterung der Taufthematik ... ist aber keineswegs eine unvermittelte, unmittelbare Umsetzung der unterschiedlichen christlichen Taufbedeutungen in der Kunst intendiert; vielmehr werden grundlegende Konzepte der religiösen Taufe - etwa Reinigung, Sündenvergebung, Erneuerung, Wiederherstellung und Inkorporation - als Ausgangspunkt genommen, um sie für eigene Leitgedanken fruchtbar zu machen. So kann die Taufe als ästhetische Metapher gelesen werden, in der sich etwa das Prinzip künstlicher Innovation oder die Vermittlung von Alt und Neu beziehungsweise von Tradition und Avantgarde artikulieren. Vor allem äußern sich darin aber die vieldeutigen Begriffe von Reinheit und Integrität, die Koons von seinen frühen ‚Hoovers' bis hin zu seinen jüngsten Werken gleichsam als Grundkonstanten verhandelt und welche die Konzepte des Neuen, Makellosen, Unversehrten und Unschuldigen gleichermaßen umfassen - sowohl in ästhetisch-körperlicher wie auch in moralisch-geistiger Hinsicht. Die künstlerische Erkundung des ‚Reinen' und ‚Integren' ist begleitet von der Idee einer Wiederherstellung - einer Taufe - des Menschen, die wiederum mit der Vorstellung einer archetypischen Initiation in Beziehung steht, die als Restitution einer Ganzheit verstanden werden kann. Gerade daher lässt sich die Taufkonzeption bei Koons auch in einer heilsgeschichtlichen Perspektive deuten, die zugleich auf eine Reaktivierung und Weiterführung des Erlösungsgedankens in der Kunst verweist" (Raphaël Bouvier). Bouvier diskutiert seine These in der Auseinandersetzung und Interpretation unter anderem von Koons Zeitschriftenprojekt ‚Baptism' von 1987 (Kapitel 1), seiner ‚The New' genannten Werkgruppe der Hoover-Staubsauger aus den Jahren 1980 - 87 (Kapitel 2) und seiner Werkgruppe ‚Made in Heaven' von 1989-91. Die Argumentation überzeugt, wenn man der von Bouvier ins Feld geführten Verweltlichung des Sakramentsbegriffs folgt: Für Reformatoren wie den württembergischen Reformator Johannes Brenz ist die Taufe ein göttliches Wortzeichen, in dem Gott, der Vater, durch Jesus Christus, seinen Sohn, samt dem Heiligen Geist bezeugt, dass er den Getauften ein gnädiger Gott wolle sein und verzeihe ihm alle Sünden aus lauter Gnade und Gerechtigkeit. Nach diesem Verständnis handelt bei der Taufe Gott und nicht der Mensch. Demnach kann das menschliche das göttliche Handeln niemals ersetzen, auch nicht im rituellen Vollzug. Wenn aber Koons seinem künstlerischen Werk eine spirituelle Dimension in dem Sinne zugesteht, dass es mehr als das menschliche Machen zeigt, knüpft es wenigstens rudimentär an das christliche Verständnis von Taufe an. Bouviers Arbeit ist ein Gewinn.
(ham)