Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 12.06. - 03.10.2010 im Schaulager Basel
Hrsg. von der Laurenz-Stiftung/Schaulager Basel mit Texten von Neville Wakefield, Bodo Brinkmann und einem Gespräch zwischen Adam Phillips und Matthew Barney
Laurenz-Stiftung, Schaulager Basel/Schwabe Verlag, ISBN 978-3-7965-2706-7, 172 S., ca. 40 s/w- und 160 Farbabbildungen, Broschur mit Schutzumschlag, Format 30 x 21 cm, € 24,50 (D)/€ 25,50 (A)/SFR 35,--
Matthew Barney ist in Mitteleuropa vor allem durch seine autobiografisch geprägte Cremaster Filmsequenz und seine 1988 begonnene Drawing-Restraint-Serie bekannt geworden. Letztere stützt sich auf seine Überzeugung, dass die Form nur dann Gestalt annehmen kann, „wenn sie gegen einen Widerstand ankämpft" (Matthew Barney). Für Barney heisst das, dass er seine künstlerischen Aktionen, so das Klettern an senkrechten Wänden und Schiffsrümpfen, das Schieben von überschweren Gewichten und das Trampolinspringen nur unter selbst auferlegten physischen und psychischen Beeinträchtigungen wie die Behinderung durch straffe Gummibänder an den Beinen inszenieren kann. Die dabei entstehenden Zeichnungen, Skulpturen, Schauvitrinen, Fotografien und Filme sind für Barney „sekundäre Formen". In religionsphänomologischer Perspektive erinnern die Kunstaktionen unter erschwerten Bedingungen an säkulare Rituale. Man denkt an die altgriechische Vorstellung, dass die Götter denen neidisch sein könnten, die zuviel Glück erfahren und hat dann auch die pietistische Form von Frömmigkeit vor Augen, die den gebückten dem aufrechten Gang vorzieht. Möglicherweise hat Neville Wakefield diese kryptische Form von Religion gespürt, als er vorgeschlagen hat, die Drawing-Restraint-Serie in Basel mit Werken der christlichen Kunst wie Lucas Cranachs d.Ä. ‚Kopf des dornengekrönten Christus' von 1520/25, Hans Baldung Griens ‚Die heilige Dreifaltigkeit zwischen Schmerzensmutter und dem heiligen Aegidius' von 1513/16 und Pieter Coecke van Aelsts d.Ä. ‚Die Kreuztragung Christi' von 1530 zu konfrontieren. Bei Lichte betrachtet geht Matthew Barney davon aus, dass er ohne religiöse Rituale aufgewachsen ist und sie in seinem Leben keine Rolle spielen. Dennoch hat er das Gefühl, von den katholischen Eltern „etwas von ihrer Beziehung zu christlichen Ritualen" geerbt zu haben.... Das macht die Ausstellung in Basel sehr interessant für mich, die Auseinandersetzung mit all diesen religiösen Themen.... Die Art, wie das in der Ausstellung umgesetzt wird, ist eine Untersuchung der Beziehung zwischen einem dem Widerstand ausgesetzten Körper und einer instrumentellen Vorrichtung zu dessen Beschränkung, sowie der Aufzeichnung der Figur von einem aufrechten Zustand in den der Niederlegung, wie sie bei der Kreuzabnahme dargestellt wird" (Matthew Barney). Für Neville Wakefield kämpft Barney zwanghaft mit der Verwundbarkeit des eigenen Körpers und legt sich selbst Zwänge auf, um den physischen Begrenzungen zu entkommen. „Der Unterschied zu den Riten dieser Kommunion und denen der Kirche könnte kaum größer sein, doch was beide möglicherweise miteinander verbindet, ist die Vision eines Körpers, bei dem die Instrumente seiner Unterdrückung, sobald sie verinnerlicht sind, zu Werkzeugen werden, mit denen sich jede neue Form erschließen lässt" (Neville Wakefield). Für Barney ist dann auch das Kultische „vielleicht die einzige Möglichkeit", das Abgleiten der Kunst in die pure Unterhaltung zu unterbinden. Anders gesagt: Der Kult und die Religion retten die Kunst.
(ham)