Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 03.10.2009 - 10.01.2010 im MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main
Hrsg. von Susanne Gaensheimer und Klaus Görner mit Texten unter anderem von Shepherd Steiner, Chrissie Iles, den Herausgebern und einem Gespräch zwischen Chris Dercon und Jack Goldstein
MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main / Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2009
ISBN 978-3-86560-696-9, 204 S., ca. 150 Farb- und 20 s/w-Abbildungen, Leinen gebunden mit Schutzumschlag, Format 26,5 x 22,5 cm, € 38,-- (D)/SFR 58,--
Der 1954 in Montreal geborene und 2003 in San Bernadino gestorbene Jack Goldstein zählt zu den vom Fachpublikum und Künstlern geschätzten „Künstler-Künstlern" und zu den wichtigsten Künstlern der sogenannten Picture-Generation. Er hat nach seiner Ausbildung am Chouinard Art Institute in Los Angeles am California Institute of the Arts in Valencia in der „Post Studio Art"-Klasse von John Baldessari studiert, sich vom Minimalismus und der Pop-Art abgesetzt und beide Kunstentwicklungen kritisch weiterentwickelt: „Ich interessiere mich für die Lücke zwischen Minimalismus und Pop-Art: Für die Objekt-Haftigkeit und Autonomie im Minimalismus sowie für den Stoff unserer Kultur, der sich in der Pop-Art findet" (Jack Goldstein). Für ihn fing alles mit der Performance an, mit Performances, die von seinem eigenen Verschwinden handelten. Die „Entwicklung dieser Performances führte zur Herstellung von Filmen, die sich nachbearbeiten ließen. Die Filme führten dann zu Schallplatten, bei denen beides, Ton und Bild, voneinander getrennt ist. Und die Schallplatten führten zu Auftritten mit Schauspielern, und darauf entwickelten sich schließlich Gemälde" (Jack Goldstein). Die in Abgrenzung zur Konzeptkunst wieder eingeführten Bilder waren „keine originären, subjektiv gebundenen Bilder, sondern Aneignungen von bereits existierenden Medienbildern, ausgeführt mit professionalisierten Techniken" (Susanne Gaensheimer). Die Medien sind schon vor dem Künstler da, der Künstler geht auf das, was da ist, zu, spielt mit ihm und bleibt doch Zuschauer und außerhalb. Er sieht sich selber als Konstrukt und eine Repräsentation. „Ich kann mich ... nur von außen betrachten, und dieses ‚außen' spricht, wenn ich in den Spiegel sehe, der spricht. Wenn ich mich wieder betrachte, spricht es nicht, nur was draußen ist, spricht. Ich kann also wiederum nur ein Konstrukt sein, ich meine, was könnte ich wohl sonst sein? Folglich kann man nicht wissen, was man ist... Man wacht morgens auf, betrachtet sich im Spiegel und sagt: ‚Wer ist das?' und ‚Was ist das?' und ‚Wie heißt das?' und ‚Wie heiße ich?' Ich meine, nicht einmal der eigene Name gehört einem, es ist der Name eines Namens" (Jack Goldstein). Originalität und Individualität existiert deshalb für ihn nicht. „Sie ergibt keinen Sinn im Hinblick auf mein Verständnis der Moderne, im Hinblick auf das Individuum, den Standpunkt, dass ein ‚Ich' existiert" (Jack Goldstein). Der Mangel an Realität, „dem das Individuum in einer medialisierten Welt erfährt" wird in gewisser Weise durch die Hinwendung des Künstlers „zu Phänomenen der Zerstörung, der Bedrohung und des Transzendenten" kompensiert (Susanne Gaensheimer). Fragmente werden zu Totalitäten erhoben. Goldstein sucht nach Bildern, die über eine „gewisse Totalität verfügen ... Weil man den Himmel nicht sehen kann bzw. weil das Himmelreich nichts mit den Sinnen zu tun hat. Und die Hölle hätte ausschließlich mit den Sinnen zu tun. Genau aus diesem Grund wäre die Hölle ja die Hölle... Die Technik beraubt uns des Begriffs oder Gefühls des Transzendentalen, der Flucht und des Traums. Der Himmel wird nur noch zum Raum" (Jack Goldstein). Dieser Raum wird in seinem Film ‚A Glass of Milk', 1972, 16 mm, schwarz-weiß, Ton, 4' 42" durch ein Glas Milch auf einem schwarzen Tisch umschrieben. Der Künstler haut mit seiner Faust solange auf eine Kante des Tisches, bis die Milch im Glas überschwappt, das Glas umkippt und die Milch sich über die Tischplatte ergießt. In seinem zweiteiligen Gemälde ohne Titel ‚Untitled', 1980, 127 x 268 cm, kann sich ein Sciencefiction-Flugzeug so gerade eben noch vor einem explodierenden Stern in den schwarzen Weltraum retten. In seiner Schallplatte ‚The Quivering Earth', 1977, hört man „splitterndes Glas und brechendes Holz, entfernte Detonationen und herabstürzende Felsmassen, das Prasseln fallender Steine ... Die Intensität schwankt zwischen der Ballung der Geräusche und deren Verebben. Die zweite Seite beginnt mit einer schreienden und rufenden Menschenmenge in panischer Flucht, im Hintergrund ein Grollen und Bersten. Die Länge der beiden Einspielungen schafft ... Distanz. Der emphatische Charakter, den diese Geräusche in einem Katastrophenfilm haben könnten, ist erschöpft. Das heißt der Hörer ist nicht auf Seiten der 'Betroffenen', sondern Urheber und Beherrscher des Grauens. Das Erdbeben wird von ihm in Gang gesetzt, (mittels des Lautstärkereglers) verstärkt oder abgeschwächt, wiederholt oder abgebrochen. Die Platte ... ist ein vom ursprünglichen Phänomen vielfach abgeleitetes ‚Bild'/Image" (Klaus Görner). Der zur MMK-Retrospektive erschienene herausragende Katalog dokumentiert das Werk von Jack Goldstein „zum ersten Mal aus einer historischen Distanz heraus" (Susanne Gaensheimer) und schafft damit die Grundlage für eine weitergehende Auseinandersetzung.
(ham)