Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 25.07. - 04.10.2009 im Kunstmuseum Stuttgart
Hrsg. von Marion Ackermann mit Texten unter anderem von Dieter Bartetzko, Walter Grasskamp, Johann-Karl Schmidt und Christoph Vitali
Kunstmuseum Stuttgart/Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 2009, ISBN 978-3-7757-2525-5, 128 S., 61 Farb- und 3 s/w-Abbildungen, Hardcover gebunden, Format 27,9 x 22,2 cm, € 24,80 (D)/SFR 45,--
Der 1939 in Leipzig geborene Ben Willikens ist für seine menschenleeren, streng und kühl wirkenden zentralperspektivisch organisierten Innenraumkompositionen und vor allem durch seine Auseinandersetzung mit Leonardos Abendmahl bekannt geworden. Willikens' ‚Abendmahl' gilt als Initialbild seiner „Gegenräume. Ben Willikens hatte sich drei Jahre lang intensiv mit Leonardo da Vincis Wandgemälde in Santa Maria delle Grazie in Mailand auseinendergesetzt. Am Ende des Dialoges standen 1979 zahlreiche Entwürfe und ein monumentales Tafelbild. Der Künstler hatte das kunsthistorische Vorbild unter Auslassung aller narrativen Elemente einschließlich aller an der biblischen Szene beteiligten Protagonisten zu einer streng perspektivischen Licht-Raum-Architektur verdichtet, dessen religiöse und weltanschauliche Botschaft zur Disposition gestellt. Lag der Fokus in Leonardos Komposition, ganz dem anthropozentrischen Weltbild der Renaissance entsprechend, im Haupt Christi - Mensch und Gottessohn -, so schweift das Auge nun in einem nicht fassbaren, diffusen Lichtraum umher auf der Suche nach einem Fixpunkt" (Marion Ackermann). In der Ausstellung und im Katalog werden dem ‚Abendmahl' von 1979 und weiteren Abendmahls-Varianten und Entwürfen die Gemälde und Gouachen der 1996 entstandenen ‚Orte'-Serie gegenüber gestellt. Mit der ‚Orte'-Serie hat Willikens den Raum verlassen und sich den in den 1930er Jahren in Nürnberg, Berlin und München entstandenen Nazi-Bauten zugewandt. „Aller Machtinsignien beraubt, offenbaren sie ihren nekrophilen Charakter. Eine Licht absorbierende Grauskala ersetzt den transluziden Farbauftrag der Gegenräume. An die Stelle von Weiß - Symbol des Lichtes und des Geistigen - tritt Schwarz. Alles Licht verschlingend, steht es für Tod und Hölle. ‚Abendmahl' und ‚Orte' sind - wie Licht und Dunkel - Antipoden im Oeuvre von Ben Willikens" (Marion Ackermann).
Anders als es Walter Grasskamp in seinem Großessay „Abendmahl und Höllenpforte" nahe legt, hat sich die Kirche sehr früh mit Willikens Abendmahl auseinandergesetzt. Willikens „Abendmahl", 1977, erster Entwurf Perspektivkonstruktion, 102 x 73 cm, Bleistift auf Karton, war Teil der vom Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart, Marburg, organisierten Begleitausstellung „Abendmahl" zur documenta vom 20.06. - 30.09.1982 in der alten Brüderkirche in Kassel. Die Ausstellung ist dann in Teilen unter anderem in die Evangelische Tagungsstätte Löwenstein und in das Evangelische Gemeindehaus am Heiningerweg Backnang gewandert und hat dort zu einer prinzipiellen Auseinandersetzung mit Willikens Abendmahlsdarstellung geführt.
Deshalb muss Grasskamp entschieden widersprochen werden, dass es „in der Tat bis Mitte der 1990er Jahre" gedauert hat, bis von Seiten der Kirchen der Dialog mit Willikens aufgenommen worden ist. Wer sich nicht informiert, produziert zwangsläufig Fehlurteile und wird dann mit falschen Fronten leben müssen.
(ham)