Verlag C.H. Beck Reihe Wissen, München, 2010, ISBN 978-3-406-59111-2, 128 S., 26 s/w- und 17 Farbabbildungen, Broschur, Format 18 x 11,8 cm, € 8,95
Der prägnante, kurzweilige und deutungsstarke Band diskutiert die Kunst der Gegenwart seit etwa 1960 unter dem Stichwort Globalisierung. „Erst im Zusammenhang mit dem Phänomen der Globalisierung wird die paradoxe Situation besser verständlich, dass die Kunst der Gegenwart, die ja eigentlich ein flüchtiges Phänomen sein sollte - streng genommen ist ‚Gegenwart' ein Intervall von 1/18 Sekunde -, sich über eine Phase von ungefähr einem halben Jahrhundert erstreckt und sich von Jahr zu Jahr weiter ausdehnt... Ich will damit nicht behaupten, dass die Kunst der Gegenwart die Globalisierung ‚ausdrücke' oder ‚abbilde'. Aber ich gehe davon aus, dass die Veränderung unserer Wahrnehmung, also die Tatsache, dass wir Raum und Zeit als etwas Diskontinuierliches erleben, historische und ökonomische Ursachen hat und kein natürlicher oder innerkünstlicher Prozess ist" (Philip Ursprung). In der „langen Gegenwart" der letzten 50 Jahre wird die Kunst von einer Angelegenheit für kleine elitäre Kreise zur Angelegenheit der Kunstszene und des alltäglichen Lebens. „Es gibt kein ‚Draußen' (mehr), weder im Raum noch in der Zeit, weder in der Gesellschaft noch in der Kunst" (Philip Ursprung). Die 1960er und 1970er Jahre und damit Happening, Pop Art, Minimal Art, Conceptual Art, Land Art, die feministische und die auf die Stadt bezogene Kunst stehen bei Ursprung unter dem Label „Vom Objekt zum Prozess". Weitere Kapitel sind der Vermittlung und dem Triumph des Museums, dem Hunger nach Bildern und dem langen Ende des Kalten Krieges gewidmet. Ursprung ordnet diesem vorletzten Kapitel unter anderem die Arbeit von Marina Abramovic und Ulay „The Lovers, The Great Wall Walk", 1988 und Ilya Kabakovs Installation am Potsdamer Platz Berlin „Zwei Erinnerungen an die Angst" von 1990 zu. Die Kunst seit den 1990er Jahren setzt sich für Ursprung mit der unter dem Begriff ‚Empire' verbundenen Vorstellung von ewiger Gegenwart auseinander. Man fragt nicht mehr wie in den 1950er und 1960er Jahren „Was ist Kunst?" und auch nicht mehr wie in den 1970er und 1980er Jahren „Wo ist die Kunst?", sondern „Wann ist die Kunst?" Es geht nicht mehr um übergreifende Bewegungen oder Stile. Es geht auch nicht mehr um die Unterscheidung nach künstlerischen Medien. Es geht mehr um regionale als um nationale Differenzen und es geht vor allem um den Künstler als Identifikationsfigur. „Das Erhabene spielt wieder eine Rolle, weil es den Verlust der Orientierung in Zeit und Raum verbindet mit dem Wissen darum, dass die Phänomene stets vermittelt sind" (Philip Ursprung). Peter Eisenmans ‚Greater Columbus Convention Center', Columbus, Ohio, 1993 wird zur Ikone dieser Phase. An den Rändern franst das Empire freilich aus. Deshalb schließt Ursprung seine Betrachtungen mit dem Stichwort ‚Multitude' und dem Verweis auf Michael Hardts und Antonio Negris Fortsetzung von „Empire", ihr Buch „Multitude" von 2004. Für Ursprung stehen unter anderem Vanessa Beecrofts ortsspezifische Performances mit annähernd nackten jungen Frauen unter anderem in der Rotunde des Guggenheim Museums New York (1998) für diese Tendenz: Die jungen Frauen posieren mehrere Stunden vor dem Publikum und der Kamera, bis sie allmählich müde werden und das Bild, das sie formen, kollabiert. Ursprung schlägt vor, diese Performances auch als kritischen Kommentar zur Globalisierung zu lesen. „Die quälend lange Dauer der Performance, in deren Verlauf die Zuschauer die Akteure unterscheiden können, zeugt von der Dehnung der Gegenwart... Sie enthält die Möglichkeit, dass sich niemals etwas ändern wird. Aber es enthält auch die Möglichkeit, dass die Individuen die mühsam aufrechterhaltene Ordnung aufbrechen und verändern" (Philip Ursprung).
(ham)