Andy Warhol, Robert Longo, Sylvie Fleury, Vincent Szarek
Hrsg. von Renate Wiehager zur gleichnamigen Ausstellung vom 21.01. – 16.05.2010 in der Albertina Wien mit Texten unter anderem von Klaus Albrecht Schröder, Werner Spies, Tilman Osterwold und der Herausgeberin
Albertina Wien/Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 2010, ISBN 978-3-7757-2582-8, 248 S., zahlreiche Farbabbildungen, Hardcover gebunden, Format 28,5 x 24,7 cm, € 29,-- (Museumsausgabe)
Am Anfang stand eine Anzeige, eine Idee und ein Telefonat: Der ursprünglich in Esslingen und heute in Düsseldorf lebende Galerist Hans Mayer hatte die Mercedes-Werbung: „1986 – Das Automobil wird 100 Jahre. Eine Reverenz an das Genie der Ingenieure“ gesehen, die 17 Fahrzeuge aus der Automobilgeschichte wie den Benz Patent-Motorwagen von 1886 über den Rolls-Royce Silverghost von 1910, den VW-Käfer von 1938, den Citroën CV 1954, den NSU Ro80 von 1967 und einen Daimler-Benz-Wagen der mittleren Klasse von 1984 zeigte. Die Anzeige brachte Mayer auf die Idee, das Unternehmen Daimler dafür zu gewinnen, bei Andy Warhol Bilder und Portfolios mit Siebdrucken nach diesen Wagen in Auftrag zu geben. Obwohl für Warhol Autos zu den Ikonen des Schreckens gehört haben und er zeitlebens nie einen Führerschein besaß, zeigte er sich interessiert. Mayer gab dann auf eigene Kosten bei Warhol vier „Test“-Bilder des Mercedes-Benz 300 SL Coupé von 1952 in Auftrag. Die Bilder lösten beim Daimler-Vorstands- und –Finanzchef Begeisterung aus und der damalige Leiter des Daimler-Kunstbesitzes Hans Baumgart konnte bei Warhol 80 Bilder von 20 Mercedes-Modellen in Auftrag geben. Anfang Januar 1987 waren die ersten acht Typen in jeweils zwei Versionen als Einzel- und Mehrfachdarstellung fertig. „Die drei zusätzlichen Großformate beendete Warhol in den letzten zwei Wochen vor seinem Tod am 22. Februar“ (Renate Wiehager). Heute sind 32 dieser Arbeiten im Besitz der Daimler-Kunstsammlung. Dazu kommen 12 großformatige Zeichnungen. Aus heutiger Sicht erweist sich der Ankauf für die Sammlung in mehrfacher Hinsicht als Glücksfall, weil die Carserie zu ihren Glanzstücken gehört, die Serie die Sammlung schlagartig überregional bekannt gemacht und weil sie Folgeaufträge an die Künstler Robert Longo, Sylvie Fleury und Vincent Szarek ermöglicht hat. Aus der Sicht von Renate Wiehager begegnen sich in der Carserie zwei Spitzenprodukte, die in ihrem jeweiligen Bereich absolut topp sind.
Aber warum müssen Warhols Carserie und die Arbeiten von Longo, Fleury und Szarek in der Albertina in Wien gezeigt werden? Klaus Albrecht Schröder, der Direktor der Albertina, sieht die Ausstellung wie eine Themenausstellung und einen Kommentar zu einem weltweit agierenden Konzern. „Alle vier Künstler entfremden das Auto letzten Endes seinem alltäglichen Verwendungszweck und entrücken es seinem ursprünglichen Kontext. Bis zu einem gewissen Grad wird man die Interpretationen Longos, Szareks und Fleurys als Auseinandersetzungen mit Andy Warhols erster Auftragsarbeit lesen können. Warhol ist die Referenzgröße, die als Bezugspunkt einmal bestätigt und in den hyperrealistischen Kohlezeichnungen Robert Longos weiterentwickelt wird, einmal in der minimalistischen Choreografie von Sylvie Fleury ad absurdum geführt wird … Nichts symbolisiert die Beweglichkeit der Moderne besser als das Automobil. Nichts repräsentiert deren Freiheit ebenso wie die Bedrohung der Freiheit des Einzelnen durch die individuelle Verwirklichung dieser Utopie der uneingeschränkten Mobilität. Das Wechselspiel zwischen dem genialen Entwurf eines individuellen Designs und industrieller Massenproduktion wird in dieser Ausstellung ebenso angesprochen, wie der Geschlechterdiskurs und die Frage, was das Auto für den Mann, was es für die Frau bedeutet: die symbolischen Besetzungen dessen, was funktional als Transportmittel definiert wird“ (Klaus Albrecht Schröder).
Der hochfeine, aufwendig gedruckte und ausgestattete Katalog diskutiert die Carserie im Gesamtwerk von Andy Warhol (Werner Spies), setzt sich mit Robert Longos automobilen Porträts (Tilman Osterwold), Vincent Szareks Sicht der Designgeschichte des Automobils (Renate Wiehager) und Sylvie Fleurys Serie von sechs Videofilmen ‚Paris Commissioned’ auseinander, die den Mythos der legendären Mercedes-Benz Automobile vom Blitzen-Benz über den Flügeltürer bis zum C 111 mit aktuellsten Ideen aus Kunst und Mode verschmelzen (Renate Wiehager).
(ham)