Band I Essays; Band II Katalog
Publikation zu den gleichnamigen Ausstellungen vom 26.04. – 08.11.2009 in der Benediktinerabtei St. Paul im Lavanttal, Kärnten und ab Frühjahr 2011 im LWL-Landesmuseum für Klosterkultur, Stiftung Kloster Dalheim
Hrsg. von Gerfried Sitar OSB und Martin Kroker mit Texten unter anderem von Burkhard Ellegast OSB, Mirko Breitenstein, Domenicus Meier OSB
Benediktinerabtei St. Paul/Verlag Schnell + Steiner, Regensburg, 2009, beide Bände zusammen 904 S., zahlreiche s/w- und Farbabbildungen, Klappenbroschur, Format 28,4 x 23,1 cm, ISBN 978-3-7954-2125-0, € 39,--
Macht des Bildes –
Visionen des Göttlichen
Kunst und Transzendenz in Österreich im 20. Jahrhundert
Katalogbuch zur gleichnamigen Ausstellung vom 26.04. – 08.11.2009 im Werner Berg Museum Bleiburg
Hrsg. von Harald Scheicher und Beiträgen unter anderem von Barbara Biller, Friedhelm Mennekes und Wieland Schmied
Werner Berg Museum Bleiburg/Hirmer Verlag München, 2009, ISBN 978-3-7774-8055-8, 384 S., über 260 Farbabbildungen, Hardcover gebunden, Format 29,1 x 23,7 cm, € 39,90 (D)/€ 41,10 (A)/SFR 67,-- (Buchhandelsausgabe)
Mit großer Selbstverständlichkeit wird in jedem beliebigen historischen Nachschlagewerk davon gesprochen, dass Benedict von Nursia im Jahr 529 Monte Cassino gegründet hat. Jeder Lateinschüler hat einmal gehört, dass „ora et labora“ mit Benedikt verbunden ist. Und jeder kunsthistorisch Interessierte weiß, dass der St. Gallener Klosterplan so etwas wie die bildhafte Umsetzung der Regula Benedicti ist und Stift Melk als Zeugnis der barocken benediktinischen Repräsentationskultur zum kulturellen Erbe Europas gehört. Das Datum der Klostergründung, die Benediktregel, der St. Gallener Klosterplan und Kloster Melk sind ins europäische kollektive kulturelle Gedächtnis eingegangen. Dem Gewicht dieser Tradition folgend spricht Abt Heinrich Ferenczy OSB davon, dass sich der Benediktinerorden vom Kloster Monte Cassino aus über ganz Europa ausgebreitet und die Kultur des Abendlandes wesentlich mit geprägt hat. Abtprimas Notker Wolf formuliert es so: „Ohne arrogant sein zu wollen: Auf diesem Boden haben sich Wissenschaft und Technik entwickelt wie sonst nirgendwo auf der Welt. Das gilt auch für die Kunst … Kunstepochen wie die Romantik, Gotik, Renaissance und der Barock wurden möglich durch das Ja des Christentums zur Geschichtlichkeit des Menschen.
Die Mönche haben diese Tradition später an die weltlichen Menschen weitergegeben. Auch die moderne Kunst lebt zu einem guten Teil von der Auseinandersetzung mit dem Christentum und dem Transzendenten überhaupt. Der Blick in die Vergangenheit führt uns über die Gegenwart hinaus in die Zukunft“. Abt Heinrich Ferenczy erinnert daran, dass Papst Pius XII. den heiligen Benedikt als „Vater Europas“ bezeichnet hat und Papst Paul VI. ihn zum „Schutzpatron Europas“ erhob. Der schwergewichtige Essay- und Katalogdoppelband bestätigt diese Wertung eindrucksvoll. Es ist schwer vorstellbar, was aus Europa geworden wäre, wenn die „Regula Benedicti“ nicht als so genannte Mischregel unter anderem über das um 590 vom hl. Columban gegründeten Kloster Luxeuil in den Vogesen aus ihren Siegeszug angetreten hätte. Unter einer Mischregel versteht man die Kombination verschiedener Regeln zu einem neuen Ganzen, „dem jedoch oftmals nur lokal und zeitlich begrenzte Geltung beschieden war. In Luxeuil galt eine solche benediktinisch-columbanische Mischregel mit Sicherheit seit dem dritten Abt Waldebert († ca. 670)“ (Mirko Breitenstein). Es ist den Benediktinern und dem wissenschaftlichen Kuratorium der Europa Ausstellung hoch anzurechnen, dass sie die zeitliche Differenz zwischen der Klostergründung von Monte Cassino und der Verbreitung der Benediktregel in aller Offenheit ebenso ansprechen wie die dünne Quellenlage, aus der das Leben des heiligen Benedikt rekonstruiert wird. „Benedict von Nursia wird uns von zwei – wenn auch sehr unterschiedlichen – Quellen nahe gebracht, durch die Dialoge Gregor des Großen, in denen legendenhafte Szenen aus dem Leben des Heiligen überliefert sind … und durch die Regel, die auf den heiligen Benedikt selbst zurück geht …“ (Burkhard Ellegast OSB).
Aber so weit wie der Frankfurter Mittelalterhistoriker Prof. Dr. Johannes Fried wollen weder die Benediktiner noch das wissenschaftliche Kuratorium gehen: Fried unterscheidet zu Recht zwischen ‚episodischen Erinnerungen’, die den tatsächlichen Verlauf eines Geschehens beschreiben und ‚semantische Erinnerungen’, die selbst dann als unbestrittene Tatsache ins kollektive kulturelle Gedächtnis eingehen, wenn es sich um Ungeschehenes handelt, das als Geschehenes erinnert wird. Zur Untermauerung seiner These erinnert Fried auch an die Ergebnisse der heutigen Hirn- und Gedächtnisforschung und an Zeugenaussagen nach Unfällen, bei denen nachweislich 40 Prozent der Aussagen falsch sind. Wenn Episoden lange Zeit mündlich überliefert und im Gedächtnisstrom mit Legenden angereichert werden, kann in der schriftlich überlieferten historischen Quelle nicht mehr zwischen Mythos, Sage, Legende, Erfindung und realem Ereignis unterschieden werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn historische Autoritäten wie geistliche Führer im Spiel und allseits bekannte historische Zeugnisse wie die Ruinen von Jericho vor Augen sind. So geht Fried davon aus, dass Jerichos Mauern nicht erst in der Morgenröte des 7. Tages nach dem 7. Spiel der Halljahr-Posaunen beim 7. Umgang eingestürzt sind; Josua kam erst ins Land, als die Mauern von Jericho schon 500 Jahre lang zu Ruinen geworden waren. Dem vergleichbar lässt er es sich als Mittelalterhistoriker nicht nehmen zu fragen, ob Benedikt überhaupt gelebt hat und ob die Benediktregel von Monte Cassino stammen kann oder nicht. Er geht aus von der Tatsache, dass die nachweislich erste Erwähnung von Benedikt auf das zweite Buch der Dialoge von Papst Gregor dem Großen (590 – 604) zurückgeht und die Dialoge nicht selbst von Benedikt geschrieben worden sind. Quellenkritisch geurteilt dürfte das Ziel des Textes nicht die Darstellung des Lebenswegs des Heiligen gewesen sein, sondern die Darstellung eines repräsentativen, eines vorbildlichen Mönchs. In diese Darstellung ist für Fried alles für einen herausragenden Mönch Typische eingeflossen bis hin zur Totenauferweckung. Deshalb kommt er zum Schluss, dass es sich bei den Benediktlegenden in den Dialogen Gregor des Großen um ein Konstrukt und eine Art spirituelle Biografie nicht des Heiligen, sondern Gregor des Großen selbst handeln muss.
Wie dem auch sei: Die Benediktiner haben Großes geleistet und die Europa Ausstellung in St. Paul trägt zu Recht, wie der Bürgermeister der Marktgemeinde St. Paul sagt, „zu einer weiteren Vertiefung der geistig-kulturellen und religiösen Identität mit unserem ‚Schatzhaus’“ (Hermann Primus) bei und darüber hinaus zur Identität Europas. Wie es mit den heute weltweit etwa 8000 Benediktinern und 16500 Benediktinerinnen und den 21 Kongregationen weitergeht, bleibt für Dominicus Meier OSB vorsichtig optimistisch offen: Die Benediktiner werden für Meier weiter auf das ‚ora’ und die benediktinische Spiritualität setzen, sich mit anderen Klöstern vernetzen und den interreligiösen monastischen Dialog intensivieren. Darüber hinaus sind sie dabei, neue Formen der Jugend- und Erwachsenenbildung zu entwickeln und mit ihrem Erbe, den Stiften und Klöstern zu arbeiten. „Die auch weiterhin immer wieder neu zu entwickelnde Vision von Ordensleben im neuen Jahrhundert kann und muss am Status quo ansetzen, darf aber dabei nicht stehen bleiben. Eine Entwicklungsrichtung ist die Modernisierung des eigenen und gemeinschaftlichen Lebens im Dialog mit den Fragen der Zeit und den Erfahrungen der eigenen Geschichte. Für uns Benediktiner bleibt so der lebendige Spannungsbogen zwischen Beständigkeit und Aufbruch eine dauernde Aufgabe und Herausforderung“ (Dominicus Meier OSB).
Die Bleiburger Ausstellung ‚Macht des Bildes. Vision des Göttlichen’ ist Wieland Schmied zum 80. Geburtstag gewidmet. Wenn man Schmied folgt, können die Kirchen in ihrem Dialog mit der Kunst anders als die Benediktiner nicht mehr an das bisherige zwar spannungsreiche, aber doch verheißungsvolle Miteinander von Herkunft und Zukunft in der Gegenwart anknüpfen. „Die Wahrheit ist, dass die Distanz zwischen den beiden Welten von Kunst und Kirche kaum noch überbrückbar scheint … So wie viele Vertreter der Kirche in den Äußerungen der zeitgenössischen Kunst … nicht mehr das sehen, was sie unter Kunst verstehen können, so sehen viele gerade der bedeutendsten Künstler heute mehr denn je eine unaufhebbare Differenz zwischen Christentum und Kirche“ (Wieland Schmied). Kunst und Religion sind auseinander getreten. Wer das Gespräch zwischen beiden Größen sucht, wird sich deshalb vor allem mit den Künstlern auseinander setzen, die nach wie vor nach Visionen des Göttlichen und Spuren der Transzendenz suchen, aber heute eher in der Gesellschaft als in der Kirche zu finden sind.
Die Auswahl der etwa 200 Arbeiten von 60 österreichischen Künstlern folgt dieser Einschätzung und überlässt es dem Betrachter, in den nach den Geburtstagen geordneten Arbeiten von Künstlern wie Arnold Schönberg, Oskar Kokoschka, Max Weiler, Maria Lassnig und Siegfried Anzinger Spuren der Transzendenz zu finden oder auch nicht. Als Hilfe zur Rezeption werden die unter anderem von Paul Tillich, Rainer Volp, Horst Schwebel und Günter Rombold vorgeschlagenen Wege empfohlen. Für Wieland Schmied erscheint Rombolds These von der „Kunst als Kompensation von Religion“ noch am brauchbarsten. Rombolds These besagt, „dass die Kunst der letzten beiden Jahrhunderte gerade in ihren extremsten Äußerungen das Religionsdefizit, das zugleich ein Sinndefizit und Identitätsdefizit ist, zu kompensieren trachtet. Kunst unternimmt den Versuch einer universellen Weltdeutung, eine Aufgabe, die bis zum 18. Jahrhundert der Religion zugesprochen wurde“. Schmied wendet die Kompensationsthese existenziell. Er hält Kunst für ein Medium der Erfahrung, das es den Menschen erlaubt, Erfahrungen der verschiedensten Art zu machen, religiöse Erfahrungen, Erfahrungen über den Menschen, über seine Zeit, seine Welt, seinen Glauben oder seinen Nicht-Glauben, sein Verhältnis oder sein Nicht-Verhältnis zu Gott. Und Kunst ist zugleich das Medium, diesen Erfahrungen „Ausdruck zu geben in einer autonomen, nur ihren eigenen Gesetzen gehorchenden Formensprache“ (Wieland Schmied). Eine Ikonografie des Transzendenten lehnt er ab. „Es gibt keine Ikonografie des Transzendenten und es besitzt keine verbindliche Form“ (Wieland Schmied). Dafür gibt es in Arbeiten von Künstlern der Gegenwart auch heute noch Spuren des Transzendenten, des Spirituellen, des Religiösen, die Antworten zu geben versuchen auf die „einfachsten und selbstverständlichsten Fragen, mit denen sich das größte Maß an Transzendenz verbindet, Fragen wie: Woher kommen wir? Wer sind wir? Warum sind wir hier? Wohin gehen wir? Es sind die Fragen, mit denen sich die Kunst seit je beschäftigt hat und die sie, so glaube ich … nie loslassen wird“ (Wieland Schmied). Die Selbstzeugnisse der Künstler, die einzelnen Exponaten wie Max Weilers ‚Himmel’ von 1961 beigegeben sind, scheinen Wieland Schmied Recht zu geben. Max Weiler schreibt 1988: „Die entscheidende Frage für den Menschen ist: Bist Du auf Unendliches bezogen oder nicht? Das ist das Kriterium seines Lebens. Nur wenn ich weiß, dass das Grenzenlose das Wesentliche ist, verlege ich mein Interesse nicht auf Futilitäten …. Wenn man fühlt und versteht, dass man schon in diesem Leben an das Grenzenlose angeschlossen ist, ändern sich Wünsche und Einstellungen“ (Max Weiler).
(ham)