Hrsg. von Hubertus Kohle
Prestel, München. Berlin. London. New York/Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 2008, ISBN 978—423-34397-7, 640 S., zahlreiche s/w- und Farbabbildungen, Broschur, Format 26,5 x 19,5 cm, € 80,--
Mit Werner Hofmanns epochalem Buch „Das irdische Paradies: Motive und Ideen des 19. Jahrhundert“ aus dem Jahr 1960 rückt das 19. Jahrhundert in den Mittelpunkt des Interesses der Kunstgeschichte. Der Band „Vom Biedermeier zum Impressionismus“ integriert die seither erschienenen umfangreichen Studien und strukturiert das Material unter den Leitbegriffen Geschichte und Gegenwart. „’Geschichte’ verweist auf eine Dimension der Rückwärtsgewandtheit, die aber im Sinne der (verkürzten) These Hegels vom ‚Ende der Kunst’ produktiv ausgedeutet werden soll. Sie drückt sich in den verbreiteten historisierenden Gestaltungsweisen wie in den omnipräsenten historischen Stoffen aus und gipfelt in einer Richtung, die man unter der Bezeichnung ‚Historismus’ kategorisiert. ‚Gegenwart’ andererseits meint all diejenigen Stoffe, die aus einer drängenden und vielfach als revolutionär empfundenen Wirklichkeit resultieren. Hier werden tatsächlich Erfahrungen zum Gegenstand gemacht, die auch heute noch als gültiger Ausdruck einer künstlerischen Realitätswahrnehmung aufgefasst werden“ (Hubertus Kohle). Begriffe wie „Profanisierung“ und „Verzeitlichung“ erleichtern in den Augen von Hubertus Kohle die Orientierung in dem von mannigfaltigen Widersprüchen, Gegenläufigkeiten und Ungleichzeitigkeiten geprägten Jahrhundert. Das Phänomen der Profanisierung wird für ihn im religiösen Bild noch deutlicher als in der Porträt-, Akt-, Genre- und Geschichtsmalerei nachvollziehbar und geradezu thematisch. „Bekannt geworden ist der Fall des ‚Triumphes der Religion in den Künsten’ … des Nazareners Friedrich Oberbeck von 1831 – 1840“, das auf den ersten Blick eine reine Affirmation des Religiösen im Bild zu sein scheint und daher alles andere als ein Säkularisierungsphänomen. „Es werden nämlich die führenden Künste der Malereigeschichte in ihrem dienenden Verhältnis zu biblischen Überlieferung präsentiert“ ... (Aber) entgegen dem Anschein ist es eher ein Bild über die Kunst als ein religiöses Bild“ (Hubertus Kohle). Denn es charakterisiert das eigene Jahrhundert als Jahrhundert der Reflexion und setzt diese mit Friedrich Theodor Vischer gegen „reinste Frömmigkeit“.
Das Phänomen der Verzeitlichung wird unter anderem an Heinrich Hübschs Frage „In welchem Style sollen wir bauen?“ deutlich: Vor dem 19. Jahrhundert wäre es selbstverständlich gewesen, in dem Stil zu bauen, der als der aktuellste gilt. „Jetzt, da alle Stile der Vergangenheit auf einmal zur Verfügung standen und keiner von ihnen sich wie selbstverständlich aufdrängte, wurde die Stilwahl zum Problem … Gotische Formen boten sich für religiöse Architektur an, …Renaissanceformen wurden für Rathausbauten gewählt … Und barocke Formen bevorzugte man dort, wo Repräsentationsaufgaben im Vordergrund standen …“ (Hubertus Kohle). Aber die Verzeitlichung lässt die Konzentration auf das rein Faktische selber wieder historisch werden. Und so hält das moderne Kunstschaffen letztlich die Perspektive der Erlösung offen. Die in dem Band gesammelten Einzeluntersuchungen widmen sich unter anderem der Entstehung und Etablierung des modernen Kunstbetriebs, der Kunstpublizistik, der Kunstgeschichte als Wissenschaft, der religiösen Malerei im 19. Jahrhundert und der Urbanisierung und Industrialisierung als Signum der Epoche.
(ham)