Hrsg. von Frank Büttner, Meinrad von Engelberg, Stephan Hoppe und Eckhard Hollmann
Prestel, München. Berlin. London. New York/Deutscher Taschenbuch Verlag, München, ohne Jahresangabe ISBN 978-3-423-34305-3, 640 S., zahlreiche s/w- und Farbabbildungen, Broschur, Format 26,5 x 19,5 cm, € 80,--
Der Zwinger in Dresden wird ebenso dem Barock zugerechnet wie die dortige Frauenkirche, die Würzburger Residenz, der Bibliothekssaal von Bad Schussenried und Beatae Mariae Virgins, die evangelisch-lutherische Hauptkirche von Wolfenbüttel. Die 1745 begonnene Steingadener Wallfahrtskirche „zum Gegeißelten Heiland“; Dominikus Zimmermanns „Wieskirche“ wird dagegen dem Rokoko zugerechnet, weiter auch der als Gegenentwurf zur Dresdner Frauenkirche gebaute Hamburger Michel. Wenn der Band den Titel „Barock und Rokoko“ trägt, ist mit Meinrad von Engelberg zu fragen, „was dieses ‚und’ eigentlich besagen will: Die Gegenüberstellung zweier eindeutig differenzierbarer, eventuell sogar antagonistischer ästhetischer Systeme, oder die untrennbare Verbindung inhaltlich aufeinander bezogener Begriffe? Diese Frage ist in der Forschung bis heute umstritten und wird deshalb auch in diesem Band unterschiedlich beantwortet.
Während Margit Kern in ihrem Beitrag … stärker die divergierenden Prinzipien beider ‚Epochen’ beim Zusammenspiel der Gattungen in der Ausstellungskunst herausarbeitet, scheinen im Bereich der Sakralarchitektur die Kontinuitätsaspekte zu überwiegen“ (Meinrad von Engelberg). Nach dem heutigen Stand der Forschung reicht jedenfalls die Stilgeschichte als alleiniges Leitprinzip der kunsthistorischen Darstellung nicht mehr zu. Im 19. Jahrhundert war man davon ausgegangen, dass der Barock durch die Stilhaltungen „’des Malerischen’, der ‚offenen Form’, der ‚Unklarheit’ oder der ‚Vielfalt’ zu kennzeichnen sei, „deren erste Ansätze man im Werk Michelangelos sah und die sich dann vor allem vom Rom der katholischen Reform aus verbreiteten“ (Frank Büttner; Meinrad von Engelberg, Stephan Hoppe, Eckhard Hollmann). Diese Zuschreibung ist obsolet geworden, weil sie unter anderem einige der ambitioniertesten Residenzschlossbauten des 17. Jahrhunderts wie jene in Gotha oder Weissenfels, strengere, kargere und weniger malerische barocke Bauten im westlichen und nördlichen Deutschland und protestantische Bauten ausschließen würde. Deshalb lässt sich die kunsthistorische Darstellung heute neben der Stilgeschichte unter anderem auch vom Umgang mit der Tradition, von Neuausstattungen wie denen in mittelalterlichen Kirchen und in Residenzen und vom Aufgabenspektrum der Auftraggeber leiten. „Heute kann … eine Mehrzahl von ‚Geschichten’ der Barockkunst geschrieben werden.
Ähnlich vieldeutig erscheint der zweite Stilbegriff im Titel dieses Bandes, Rokoko. Ob es sich hierbei um eine untergeordnete Kategorie des übergeordneten Barockbegriffs, um eine eigenständige Übergangsepoche zwischen Barock und Klassizismus oder lediglich um eine ‚Färbung’ innerhalb einer kontinuierlichen Entwicklung handelt, wird in der Forschung kontrovers diskutiert“ (Frank Büttner, Meinrad von Engelberg, Stephan Hoppe, Eckhard Hollmann).
Die Herausgeber stellen die Vielfalt möglicher Deutungen nebeneinander, ohne eine einzige für richtig zu erklären. Der Band setzt mit der Situation nach dem Dreißigjährigen Krieg ein, diskutiert Ensembles wie Ottobeuren, Würzburg, Berlin/Potsdam, die Vielfalt der Gattungen und Einzelfragen wie die Deckenmalerei, die frühneuzeitliche Garten- und Stadtbaukunst und die deutsche Malerei zwischen 1600 und 1750. Das Namens- und Sachregister und das Orts- und Objektregister erleichtert dem Leser das Auffinden von Details. So kann man etwa auf den Stuttgarter Architekten Eberhard Friedrich Heim (1703 – 1739) entweder über das Namens- oder über das Orts- und Objektregister kommen: Er hat das Schwäbisch Haller Rathaus in den Jahren 1732 – 1735 nach dem verheerenden Stadtbrand vom 31. August 1728 wieder aufgebaut. Dass Heim trotz seines jugendlichen Alters zum Zuge kam, „ist dem Umstand zu verdanken, dass sein Onkel, der württembergisch-herzogliche Baumeister Johann Friedrich Heim, zum Wiederaufbau der Stadt hinzugezogen worden war“ (Ulrike Seeger).
(ham)