ReligionsKulturen Band 3, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-17-019964-4, 286 S., Broschur, Format 23,2 x 15,5 cm, € 34,--
Marcus Döbert erörtert in seiner auf seiner Dissertation aufbauenden Studie die These, dass die biblische durch eine posthermeneutische Theologie ersetzt werden muss. Keiner der klassischen und keiner der posthermeneutischen Ansätze kann das Wort Gottes methodisch überprüfbar sichern. Bekanntlich hatte die Theologie auf den Verlust der Vorstellung von der von Gott ins Ohr diktierten Bibel mit der Entwicklung der historisch-kritischen Methoden reagiert. Sie sollten das Wort Gottes in hinter dem Text liegenden oder in an den Text herangetragenen Vorstellungen sichern. Konzepte wie das ‚Eigentliche der Schrift’, das ‚ganz andere der Gottesstimme’ und die ‚authentische Historizität des Christentums’ scheitern für Döbert an den epistemischen Grenzen der jeweiligen Methodik. Die wissenschaftliche Theologie hat sich letztlich mit der Einsicht abzufinden, dass ihr eine jederzeit ‚abrufbare’, mit ontologischer Gewissheit zu behauptende ‚Technik’ der Referenz, mit der die stets fremde Gottesstimme zu vergegenwärtigen wäre, „künftig nicht mehr zur Verfügung“ stehen wird (Daniel Bogner).
Auch die seither entwickelten alternativen Bibelhermeneutiken wie die pneumatischen, linguistischen, semiotischen und kommunitären Hermeneutiken setzen nach Döbert immer noch auf einen unbeeinflussbar-transzendenten archimedischen Punkt, der die konstruktive Macht des interpretierenden Subjekts letztlich in seiner Freiheit beschränkt und in seiner Wirksamkeit klein redet. „Ihr eigentliches Ziel, nämlich den durch die epistemologischen Entwicklungen der Gegenwart erlittenen irreversiblen Verlust aller archimedischen Punkte der Erkenntnis umzukehren oder zumindest seine Folgen zu mildern, ist in unerreichbare Ferne gerückt …. Die autonome Stimme der Schrift ist erloschen…“ (Marcus Döbert). Der Bibeltext verliert seinen Status als gesicherten Fundort göttlicher Rede und wird – im Anschluss an Michel Foucaults Vorstellung von Wissen und Macht und die cultural studies - zum Gegenstandsfeld kulturmateralistischer Studien. Im Umgang mit der „druckschwarzen Materialität des bloß Äußerlichen“ der Bibel erschaffen sich die Diskurse mit der Bibel ihre jeweils eigenen historisch-relativen Wahrheiten selber. Im Mittelpunkt des Interesses stehen nicht mehr die ewigen Wahrheiten, sondern praxisbezogene Diskurse, die das Denken und Handeln der Diskutanten verändern. Wenn sich die Theologie auf Foucaults Denken einlässt, muss sie unter anderem ihren Anspruch, „den Gang der Welt geistig zu durchdringen und diesem einen tröstlichen Sinn verleihen zu können, aufgeben. Sie müsste den Verlust ihrer wohl gehüteten Gewissheiten riskieren, um am Ende dieses Weges dann womöglich doch nur ‚einen weißen, indifferenten Raum ohne Innerlichkeit und Verheißung freizulegen’ (Michel Foucault), in dem ein behaustes und behagliches Leben und Denken nach bisherigen Maßstäben unmöglich erscheint“ (Marcus Döbert). Sie gewinnt dafür aber die transformative Kraft der religiösen Texte zurück.
Der Mystik vergleichbar geht es dann im Umgang mit biblischen Texten nicht mehr um das Auffinden überzeitlicher ewiger Wahrheiten, deren Verstehen und deren Übersetzungen ins Leben, sondern um erfahrungs- und streng körperbezogene religiöse Gewissheiten mit performativem Charakter. „Cultural materialism fungiert hier als Beispiel für eine Form der Textinterpretation, die ihren eigenen performativen Charakter ernst nimmt. Sie orientiert sich am kontemporären Horizont und strebt für diesen Relevanz an. Darüber hinaus kann sie die Frage des Kanonischen jenseits von reaktionärem Dogmatismus und szientistischem Positivismus beleuchten helfen.“ (Marcus Döbert). Döbert sieht sich in diesem Ergebnis von Gianni Vattimo bestätigt, der 2002 davon gesprochen hat, „dass ‚der postmoderne Nihilismus die aktuelle Wahrheit des Christentums’ darstelle, da dieser vollende, was mit den Schriften des Neuen Testamentes angefangen habe, nämlich die ‚Auflösung der Anmaßungen der Wirklichkeit’ durch die ‚Auflösung jedweder objektivistischer Ansprüche’“ (Gianni Vattimo/Marcus Döbert).
(ham)