Für die Ausstellung „Transzendenz Inc.“ in der Hospitalkirche in Stuttgart fertigte der Künstler Axel Heil, geboren 1965 in Karlsruhe, einen schwebenden Gekreuzigten. Der Corpus eines spätbarocken süddeutschen Kruzifixes, um 1780, hängt losgelöst vom Kreuz an bunten Luftballons. Wären diese Ballons nicht festgebunden, würde der Gekreuzigte im Glockenturm der Hospitalkirche gen Himmel fliegen.
Die farbenfrohen Luftballons verleihen dem Kunstwerk Leichtigkeit. Der Aufstieg der Luftballons gen Himmel kann als Flug in die Freiheit verstanden werden. Doch auf was begründet sich dieses Schweben des Gekreuzigten? Der Auftrieb, die Befreiung vom Kreuz, wird allein durch ein Luftgasgemisch ermöglicht. Mit wenigen Nadelstichen würden die Ballons ihre Luft verlieren und der Gekreuzigte in die Tiefe stürzen. Der Flug des Gekreuzigten ist für den Betrachter folglich mit Vorsicht zu genießen. Er erinnert an die mythologische Figur Ikarus, dessen Federflügel durch die Sonnenwärme schmolzen und ihn in den Tod stürzen ließen.
Der Titel des Werks „Assunzione“ heißt Erhebung Himmelfahrt. Bedeutet dies die Flucht des Gekreuzigten vom Rummelplatz der Irdischen? Hat Christus in unserem Leben „ausgedient“, dass wir ihn in unserer Spaßgesellschaft schlicht wegfliegen lassen? Wird er abgelöst vom Adrenalin der Achterbahnen?
Axel Heil setzt sich in seiner Kunst besonders mit Rezeptionsgewohnheiten und der Frage nach „Wirklichkeit“ auseinander. Er scheint eine Umsetzung der theologischen Bedeutung der Kreuzigung und der Himmelfahrt Christi gesucht zu haben. Der gekreuzigte Christus nimmt als Sohn Gottes durch seinen Kreuztod die Sünden der Menschen auf sich und erlöst sie, damit auch sie von den Toten auferstehen können. Heils Gekreuzigter, der bereits auf dem Weg gen Himmel ist, nimmt diese Bedeutungen auf und veranschaulicht sie. Dabei wird der Kontrast zwischen dem leidendem, gequälten Corpus und den farbenfrohen Luftballons augenfällig. Sie könnten den unbeschwerten Ausweg, die Hoffnung auf die Erlösung, von den Sorgen, dem Elend und der Unterdrückung unserer Welt - verkörpert durch den Gekreuzigten - symbolisieren.
Die Auseinandersetzung mit der Kreuzigung als zentrales Symbol des Christentums und damit als bekanntestes und markantestes Motiv der westlichen Welt wird in der modernen und zeitgenössischen Kunst von vielen Künstlern gesucht. Meist verbindet sich das Kreuzigungsmotiv jedoch nicht mit theologischen Fragestellungen, sondern mit politischen oder gesellschaftskritischen Themen. Besonders das Leid im Ersten und Zweiten Weltkrieg gab Anlass für zahlreiche Kreuzigungsdarstellungen.
Axel Heil lässt sich keiner dieser säkularisierten Bedeutungsfelder zuordnen. Sein Gekreuzigter bildet eine Schnittstelle zwischen Glaube, Gesellschaft, Kunst und Geschichte. In Zeiten, in denen die christlichen Kirchen ihre gesellschaftliche Bedeutung zu verlieren scheinen, schafft Heil mit seinem Kunstwerk einen Beitrag zur christlichen Ikonographie - indem er nicht nur die theologische Auseinandersetzung sucht, sondern auch eine Verbindung zur Kunstgeschichte herstellt. Dies erreicht er durch die einfache wie überraschende Verknüpfung eines spätbarocken Kruzifixes mit modernen Materialien, den Luftballons.
(Angelika Schuster)