Hrsg. vom Verein August Macke Haus e.V. Bonn / Klara Drenker-Nagels zur gleichnamigen Ausstellung vom 29.05. – 13.09.2009 im August Macke Haus Bonn mit Texten unter anderem von Gertrude Cepl-Kaufmann, Jasmin Grande und Adam C. Oellers
Schriftenreihe Verein August Macke Haus Bonn Nr. 55, 2009, ISBN 978-3-929607-57-3, 270 S., zahlreiche s/w-Abbildungen, Textanthologie mit Texten unter anderem von Walter Hasenclever, Karl Otten und Carl Einstein, Klappenbroschur, Format 21 x 14,8 cm, € 25,--
Wer von der ‚Wiederentdeckung des Sakralen in der Moderne 1910 – 1930’ spricht, geht davon aus, dass es in der Zeit davor verschwunden war. Aber war es das? Die Antwort hängt davon ab, ob man seine Präsenz zum Beispiel in der Häufigkeit von christlichen Motiven gespiegelt findet oder ob man mit Hegel davon ausgeht, dass die Kunst den absoluten Geist prinzipiell nicht mehr darstellen kann. Wie auch immer: In der Zeit zwischen 1910 und 1930 tauchen eine Fülle von christlichen Themen und Symbolen in Kunst und Literatur an Rhein und Ruhr auf. Sie tragen mit dazu bei, dass das Rheinland im anfänglichen 20. Jahrhundert zu einer der bedeutenden europäischen Kulturregionen wird. Neben der Verarbeitung des Ersten Weltkriegs spielt ganz sicher die liturgische Bewegung dieser Jahre eine tragende Rolle, „die eine ‚Weltzuwendung aus der Mitte des Glaubens’ verfocht und mit der von ihr propagierten christozentrischen Ausrichtung einen Paradigmenwechsel in der Kirchenkunst einleitete …“ (Klara Drenker-Nagels).
Die Frage, ob es sich um eine religiöse Moderne im Rheinland handelt, bleibt in dem differenziert argumentierenden Katalogband offen.
Mit einigem Erstaunen lässt man sich daran erinnern, dass zwischen 1907 und 1914 unter anderem in Aachen, Düsseldorf und Köln nicht weniger als vier überregional beachtete Malerei-Ausstellungen zum Christusbild gezeigt worden sind. In der Sonderbund-Ausstellung von 1912 waren mit großer Selbstverständlichkeit die Brücke-Künstler Kirchner und Heckel vertreten, in der Werkbund-Ausstellung von 1914 Nolde, Beckmann und die Hölzel-Schüler Baumann und Schlemmer.
Für Adam C. Oellers gehören die 1914 auf dem Kölner Messegelände gezeigten Glasfensterentwürfe von Jan Thorn-Prikker zu den beachtenswerten Innovationen. „In der Monumentalität und der Ausdrucksstärke der Erscheinung Christi und der biblischen Figuren wird deutlich, wo die eigenständige Zukunft der religiösen Kunst im Rheinland liegen wird: In der angewandten Kunst und hier vor allem in den Bereichen der Glasmalerei bzw. des monumentalen Wand- oder Mosaikbildes, die zu einer neuen Sakralität in der Raum- und Bildgestaltung führen sollten“ (Adam C. Oellers).
Heute kaum mehr bekannt sein dürfte, dass auch Max Ernst sich religiösen Themen zugewandt und 1913 eine von Grünewald und El Greco beeinflusste Kreuzigung in Öl auf Papier, 51 x 43 cm geschaffen hat. Die Zeit zwischen 1919 und 1933 gehört zu einer der großen Epochen des Kirchenbaus. Nach dem Erleben von Untergang und Neuanfang im und nach dem Ersten Weltkrieg orientierte sich selbst Rudolf Schwarz’ kompromissloser Entwurf für St. Fronleichnam, Aachen an romanischen Bauten. Otto Bartning erhofft sich vom protestantischen Kirchenbau eine Überwindung des Individualismus und eine neue Bereitschaft zur Hingabe an die Gemeinschaft im Göttlichen. Im Blick auf die sakralisierte Bühne der Expressionisten kann Gerhard Köhler eine solche Erneuerung nicht feststellen: „Es kam im Expressionismus zwar zu einer radikalen Formalisierung der religiösen Werte, aber das kultische Erlebnis ersetzte die tiefe Glaubenssubstanz und der Intensität fehlte die transzendentale Fundierung“ (Gerhard Köhler).
Vergleichbar offen bleibt Gast Mannes christliche Semantik in der Druckgraphik rheinischer Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Zwar greifen Christian Rohlfs und andere christliche Themen wie den ‚verlorenen Sohn’ und die ‚Austreibung aus dem Paradies’ auf, aber sie thematisieren mit Hilfe einer altbekannten Ikonographie Kriegserlebnisse und eigene Ängste, die Erfahrungen des Untergangs, der Rettung und der Wiedergeburt. „Dabei geht es primär nicht um theologische Reflexion, sondern menschliche Sehnsüchte … Die biblische Thematik wird benützt zur Deutung und Sinngebung tiefgreifender Zeitereignisse jenseits konfessioneller Grenzen…. Somit erscheint gerade das Intimität vermittelnde Medium der Druckgraphik, in der das Individuelle leichter mit dem Religiösen künstlerisch in Verbindung treten kann, als Gleichnis der Überhöhung der privaten Situation und als Ausdruck deutscher Gefühlskultur, die teilweise religiös gebunden war“ (Gast Mannes).
(ham)