Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 1.5. – 30.8.2009 im arp museum Bahnhof Rolandseck
Zusammengestellt von Daniel J. Schreiber, hrsg. von Oliver Kornhoff mit Texten von Bazon Brock, Klaus Gallwitz, Durs Grünbein, Doris Mampe, Jonathan Meese, Daniel Schreiber und einem Film von Jan Bauer
arp museum Bahnhof Rolandseck / DuMont Buchverlag, Köln, 2009, ISBN 978-3-8321-9219-8, 194 S., zahlr. Farbabbildungen, Hardcover gebunden, mit DVD, Format 28,5 x 23,5 cm, € 39,95
Die Kunst-Nebel lichteten sich, als Jonathan Meese mit der Fähre mit dem Namen Siebengebirge von Bad Honnef über den Rhein übersetzte, im Bahnhof Rolandseck anlandete, in Richard Meiers postmoderner Arp-Burg den Erz- und Freistaat Atlantisis errichtete und dort die Diktatur der Kunst ausrief. „Erzstaat Atlantisis ist Totalkunst… Erzatlantisys ist menschenfreie Macht… Erzstaat Atlantisis ist der Erzeisprung der Totalrevolution ‚Diktatur der Kunst’…“ (Jonathan Meese).
Meese ordnet dem überkommenen, von Plato, Jules Verne, Joseph Beuys, Leon Krier und vielen anderen beschworenen alten Atlantis-Mythos die Farbe Weiß und drei teilweise geöffnete und damit betretbare Kreise zu, die er aus seinem Skulpturenpark bestückt. Das neue, schwarze und quadratische Atlantisis kann wie ein Tempelberg über sieben Stufen betreten werden. In das Geviert ist ein unzugänglicher kreisrunder Gral eingeschrieben. In dessen Mitte breitet über einer Dreieckssäule nicht die Eule der Minerva, sondern Meeses ‚Totaladler, Baby-Chef der Kunst (das Ei des Columbussy)’ die Flügel zum Abflug aus. Mit Quadrat, Kreis, Dreieck und dem in Atlantisis noch im ‚Ei des Columbussy’ verborgenen Unendlichkeitszeichen hat Meese seine Kürzel für die Diktatur der Kunst in die Welt und nach Rolandseck gebracht.
Daniel J. Schreiber liefert im wie immer unverwechselbaren Katalog zur Ausstellung mit seinen Stichworten Atlantis, Erz, Bergerz, Bronze, Heilung, Isis, Kino, Kunst, Staat, Staatszersetzung, Staatsterrorismus, Sonnenstaat, Saalstaat und Wunde so etwas wie Prolegomena für ein Meese-Lexikon für alle, die Meese künftig besser verstehen wollen. Unter dem Stichwort ‚Staat’ kann man u.a. lesen, dass Jonathan Meeses „Atlantisische“ die „totalen Spielkinder“ sind und sein Erzstaat Atlantisis trotzdem „weder Kinderspiel noch Spielsplatz“ ist. „Staatsgründungen werden häufig von Umstürzen und Kämpfen begleitet… Krieg und Gewalt bestimmen die Ikonographie seines Werkes“ (Daniel J. Schreiber). Erst der Erzstaat Atlantisis ist neutraler Spielraum für die totale Zukunft.
Für Doris Mampe hat Robert Fleck die bisher wichtigsten Beobachtungen zur Malerei Meeses beigetragen, wenn er Propaganda als ihren zentralen Aspekt begreift und feststellt, dass Meeses Bilder „als Gemälde mit historischem Inhalt und als weltanschauliche Thesenbilder“ für einen utopischen Entwurf einer „Gegenwelt der Kunst“ zu verstehen“ sind. Doris Mampe geht einen Schritt weiter. Für sie ist das, was das gesamte Werk Jonathan Meeses im Kern bestimmt, antreibt und formt, Propaganda. Nach Mampe sind Jonathan Meese die definitorische Vieldeutigkeit und die historischen Bezüge dieses Begriffs u.a. zur gegenreformatorischen Propaganda Papst Gregor XV., zu Saint Just und der Französischen Revolution und natürlich auch zu Adolf Hitler gerade recht. „Für Meese entspricht das Wort historisch wie definitorisch einer Hülle, die sich jeder zu seinem Nutzen überstreifen kann und, so betrachtet, keine Moral und keine Geschichte kennt“ (Doris Mampe). Nach Mampe geht es Meese beim Einsatz von Propaganda „um Stimmungsmache in der breiten Masse und um das Halten dieses Moments in der Unendlichkeit. Daher seine Affinität zu den geloopten Rhythmen von D.A.F. und deren Übertragung in seine Malerei… Revolution wird zum Spiel. Und dieses könnte, so hofft Meese, schon bald in der Realität unserer Wirklichkeit gespielt werden“ (Doris Mampe). Die für den Weitergang von Jonathan Meeses Werk entscheidende Frage wird sein, ob Meese sich nach dem Lichten der Nebel von Rolandseck an die beginnende kunsthistorische Einordnung und Historisierung gewöhnt oder ob er neue Spielregeln und Spiele erfindet. Kinder tun genau dies, wenn die alten Spiele langweilig geworden sind.
(ham)