Einen tollen Blick hat man von der Terrasse der Wilhelmshöhe auf die Stadt Ettlingen bei Karlsruhe und auf die rostigen Großskulpturen aus Cortenstahl von Werner Pokorny. Der 1898 als Kurhotel und Naturheilsanatorium erbaute Komplex beherbergt neben einer glücklichen Ateliergemeinschaft mit einem runden Dutzend Mitgliedern auch den Kunstverein Wilhelmshöhe, der zurzeit den zweiten Teil der Ausstellung „Aus dem Stamm“– Die Sinnlichkeit des Materials – Holzskulptur heute (Ausstellungstitel KURSIV, An- und Abführungsstriche belassen!) präsentiert.
Die Schau von, mit und bei Werner Pokorny gibt sich offen: Hauptsache Holz. Der Pressetext spricht von einer Ausstellung, die keinen stilkritischen oder systematischen Überblick versuchen wolle: „Die Auswahl der Werke ist breit angelegt und eine Präferenz bestimmer Schulen wurde tunlichst vermieden.“ Das klingt aufgeschlossen für alles, lenkt aber auch vom Fehlen eines stringenten kuratorischen Ansatzes ab.
Einen sinnlichen Überblick über die zeitgenössische Holzskulptur, überwiegend aus deutschen Landen, bekommt der sonntägliche Kunstpilger trotzdem geboten. Der duftintensive Apfelbaum von Daniel Bräg, in handliche Stücke zersägt und in einem skulputralen Block komprimiert, war leider nur im ersten Teil der Ausstellung zu erschnuppern. Dafür dürfen Georg Baselitz, David Nash und Tony Cragg ein zweites Mal an den Start – ein paar prominente Namen können nie schaden. Aber auch die Region ist mit Daniel Wagenblast, Axel Heil, Ingrid Hartlieb und anderen prominent vertreten.
Bis auf Ulrich Möckel, der Stammkonturen in Beton und Neonröhren nachbildet, und Christoph Loos, der eine Fotografie zeigt, arbeiten alle Künstler mit ganzen Bäumen, Stämmen, Latten, MDF-Platten oder Holzresten. Die thematische Vielfalt ist erstaunlich: Ernste Abstraktion trifft aufverspielte Figuration, das „Grobe, Kantige, Klotzige“ aufkomplexe Raumgebilde und fein ausgearbeitete Miniaturen.
Jin-Ho Heos lebensgroße menschliche Figuren aus verleimten Dachlatten haben mit den poppigbunten Comicschnitzereien von Gerhard Kehl oder den strengen, schwarz gebrannten Grundformen von Pokorny nichts gemein – außer dem Material. Die Ausstellung funktioniert gut als erster Überblick in Sachen Holzskulptur, im Anschluss wären allerdings einige konzentriertere Ausstellungen vonnöten, um die Einsichten zu vertiefen.
Wer den ersten Teil in Ettlingen verpasst hat, kann die gesamte Ausstellung auch vom 19.07. bis zum 20.09. 2009 im Kunstmuseum Singen am Bodensee sehen.
Michael Reuter