Internationale Kunst in Deutschland
Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 17.05. - 19.08.2012 im Sprengel Museum, der Kestner Gesellschaft und dem Kunstverein Hannover mit Texten unter anderem von Carina Plath, Maria Muhle, Gabriele Sand und einem Vorwort von Veit Görner, Ulrich Krempel und René Zechlin
Sprengel Museum Hannover / Kestner Gesellschaft / Kunstverein Hannover / Verlag für moderne Kunst Nürnberg, 2012, ISBN 978-3-869854-334-6, 271 S., zahlreiche Farbabbildungen, Klappenbroschur, Format 27,1 x 21,1 cm, € 28,--
Die parallel zur Documenta 12 im Jahr 2007 gezeigte erste Fassung von ‚Made in Germany' hat Furore und zahlreiche dort präsentierte Künstler international bekannt gemacht. Eine von den Hannoveraner Veranstaltern vorgeschlagene Kooperation mit der international ausgerichteten Documenta 13 in Kassel ist nach Ulrich Krempels Angaben am kulturpolitischen „Schrebergartendenken" der für die Documenta Verantwortlichen gescheitert. „Dafür konnte Hannover in einer regelrechten Piratenaktion frühzeitig sämtliche Plakatflächen im Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe für ‚Made in Germany' besetzen" (Johanna Di Blasi in der Kunstzeitung Mai 2012, S. 9). Deshalb bleibt es auch 2012 dabei, dass das Sprengel Museum Hannover, die Kestner Gesellschaft und der Kunstverein Hannover in Deutschland entstandene Kunst von zwischen 1966 und 1986 geborenen Künstlern wie Saâdane Afif, Ulf Aminde, Rosa Barba, Alexandra Bircken, Omer Fast, Kitty Kraus, Klara Lidén, Reynold Reynolds, Jorinde Voigt und Alexander Wolff parallel zur Documenta in einer eigenen Ausstellung zeigen. Das neunköpfige Kuratorenteam (Susanne Figner, Martin Germann, Antonia Lotz, Katrin Meyer, Carina Plath, Gabriele Sand, Kristin Schrade, Ute Stuffer, René Zechlin) hat bei seiner Recherche in der Generation der heute 30- und 40-Jährigen die sechs künstlerischen Interessefelder Narrativität, Räume, Medium als Material, Übersinnliches, Vernetzung und Gestern im Heute ausgemacht, die sich gegenseitig nicht ausschließen, sondern sogar überlagern. So hat der unter dem Stichwort „Räume" gezeigte Reynold Reynolds ein deutliches Interesse an Erzählungen im Zwischenbereich von Fakten und Fiktionen. Seine in Hannover vorgestellte Arbeit ‚The Lost', 2011/12 spielt mit der Vorstellung eines in den 1930er Jahren in Berlin „begonnenen, aber wegen der Filmzensur und den dramatischen politischen Veränderungen im Übergang von der Weimarer Republik zur Herrschaft der Nationalsozialisten abgebrochenen" Spielfilms. „ ‚Die Verlorenen' (1930-1933) war konzipiert als kommerzieller Horrorfilm, in dessen Mittelpunkt ein britischer Schriftsteller stehe, der in einem Hotel mit Kabarett-Betrieb lebt. Dieses Hotel gehört einem Vampir, der des Mordes an einer jungen Tänzerin beschuldigt wird. Das Kabarett und sein Besitzer werden von aufrechten Mitbürgern bedroht, die das Etablissement für einen Hort der Unmoral halten. Als die politische Situation in Deutschland sich zuspitzte, die Zensurbehörde den Druck verstärkte und die Produktionsbedingungen untragbar wurden, floh der Regisseur des Films überstürzt aus Deutschland. Das Filmprojekt blieb gänzlich unbekannt, bis eine Filmhistorikerin in den Besitz der Tagebücher des Kameramanns gelangte ... Reynold Reynolds erfuhr vom Fund dieses Koffers und widmet sich seitdem mit seinem Team der Restaurierung und Rekonstruktion des Filmes selbst, der Aufbereitung der Dokumente und den Nachforschungen zu den historischen Entwicklungen der deutschen Filmindustrie im Übergang der 1920er zu den 1930er Jahren. Ein Teil des Projekts ... befasst sich mit der Aufbereitung und Digitalisierung des Filmmaterials, ein anderer besteht darin, Szenen neu zu drehen" (Kathrin Meyer). Der in der Rubrik Narrativität vorgestellte Dirk Dietrich Hennig will in seiner Arbeit vergessenen Künstlern zur Sichtbarkeit verhelfen und arbeitet „seit Jahren erfolgreich an seiner eigenen Unsichtbarkeit" (Roland Meyer). In Hannover stellt er den Fluxus-Künstler Jean Guillaume Ferrée, einen Flur und zwei Räume jener Psychiatrie vor, in der Ferrée zwischen 1962 und 1974 wiederholt wegen einer seltenen neurologischen Störung behandelt worden sein soll. Dazu kommen Artikel in Kunstzeitschriften, Katalogen und Magazinen, die belegen sollen, dass Ferrée gelebt hat. Der 2009 auf der Art Basel im Rahmen der Art-Statements vorgestellte Maler Benedikt Hipp wird der Rubrik ‚Gestern im Heute' zugeordnet. In Hipps altmeisterlicher Ölmalerei durchdringen sich der „Handlungsraum der Objekte und Figuren ... und der symbolische Raum einer Hinterfragung der Aufgaben und Möglichkeiten zeitgenössischer Malerei sowie metaphysischer Interessen ... untrennbar und lösen sich gegenseitig auf. Damit verbindet Benedikt Hipp auf eine fast verstörende Weise die niederländische Ölmalerei des 17. Jahrhunderts mit dem metaphysischen Raumbegriff eines De Chirico" (René Zechlin). Hipp weist die seinen Bildern zugesprochene surreale Anmutung zurück. „Man spricht meinen Bildern oft Surreales zu, was aber nicht ganz stimmt. Vielmehr gehe ich in meiner Arbeit Grundfragen nach, Urformen und Strukturen und somit den Fragen, an denen alle Stränge von Wissenschaft, Philosophie und Theologie oder Spiritualität zusammenlaufen" (Benedikt Hipp). Der 1980 in Bremen geborene Max Frisinger ist im Katalog unter anderem mit seinem 2008 in der Katharinenkirche Hamburg realisierten Installation ‚Altar' vertreten. „Max Frisinger ... hat ... das Aufspüren von Sperrmüll und Plunder zu einer Arbeitstechnik verfeinert, die im Vorgang des Findens und Aussortierens bereits die Idee skulpturaler Verwertung vorwegnimmt. Was er wählt, hat die Transformation vom Abfall zum Wertstoff augenblicklich hinter sich. In seinen Assemblagen und Installationen fügen sich die Alltagsgegenstände zu abstrakten Kompositionen, ohne jedoch ihren einstigen Gebrauchscharakter zu verleugnen" (Kristina Tieke). Nach den Kuratoren der Ausstellung ist das Interesse der in der Abteilung ‚Übersinnliches' gezeigten Arbeiten weniger religiös oder esoterisch begründet, sondern Ausdruck eines Misstrauens gegen eindeutige Zuschreibungen an Bilder.
(ham)