Publikation zu den gleichnamigen Ausstellungen vom 17.11.2007 - 20.01.2008 im Kunstverein Wilhelmshöhe Ettlingen und vom 08.02.2008 - 04.04.2008 im Kunstverein Markdorf, Stadtgalerie
Hrsg. von Axel Heil für das Archiv Thomas Lehnerer, München mit Texten von Axel Heil und Margit Brehm
Sonderdruck der gleichnamigen Monographie zum Werk von Thomas Lehnerer in der Edition Braus im Wachter Verlag, Heidelberg
Kunstverein Wilhelmshöhe Ettlingen / Kunstverein Markdorf, 2007, ISBN 978-3-937295-81-7, 34 S., zahlreiche Farbabbildungen, Broschur mit Rückstichheftung, Format 20,8 x 14,4 cm, € 24,-- (vergriffen)
Der bleibend lesenswerte Katalog vereinigt neben Bronzen und Einzelblättern die Zeichnungszyklen ‚Methode der Kunst' (1987-1990), 25 Blätter unterschiedlicher Größen und unterschiedlicher Techniken auf Leinwand, ‚Der ganze Himmel II' (1985, Aquarell und Goldbronze auf Karton, 21 Blätter je 42 x 59 cm), ‚Die ganze Welt VII' (1986, Gouachen auf Bütten, 18 Blätter, je 48 x 63 cm) und die paradigmatische Vitrinenarbeit ‚Für eine neue, radikal freie Religion aus dem Geist der Kunst' (1994, 3 Vitrinen, je 180 x 40 x 41,5 cm, Eisengestelle, Glas, diverse Figuren und Objekte außereuropäische Kulturen, Fleisch, Speck, Dachwurz, Gips, Bronze, Holz, Knochen, Stein) des 1995 verstorbenen Künstlers, Theologen und Ästhetikprofessors. Lehnerer verstand sich gleichermaßen als handelnder Künstler und seine Handlungen reflektierender Mensch. Kunst war ihm „Methode aus Freiheit", die durch die „Freiheit des Spiels" und eben nicht durch „das Können" oder „den Willen" geprägt ist. Letztlich rekurriert seine Vorstellung der Kunst auf der protestantischen Gnadenlehre.
Margit Brehm arbeitet in ihrem lesenswerten Essay unter anderem heraus, dass bei Lehnerer das „ganz" in Lehnerers Zyklus ‚Der ganze Himmel II' auf ein menschliches Maß und die schrittweise Annäherung herunterzubrechen ist. „‚Der Ganze Himmel' kann nie der ganze Himmel sein, sondern bleibt ein [gt][gt]Spiel-Raum[lt][lt], in dem sich immer wieder Neues, Anderes entdecken lässt. Mehr noch als die anderen Werke verdeutlichen die Zyklen als Bildpanoramen das Ausloten des assoziativ Gefundenen oder im Prozess des Gestaltens Entdeckten..., Spiel ist insofern nichts anderes als [gt][gt]Freiheit im Rahmen[lt][lt]. Aus dieser Freiheit (als Grund) stammt - ob objektiv oder subjektiv bewusst - alles, was im Rahmen verschiedener Bedingungen [gt][gt]wirklich[lt][lt] zu entstehen, und dennoch [gt][gt]Unbedingtheit[lt][lt] zu beanspruchen vermag" (Margit Brehm/Thomas Lehnerer).
In seinen skulpturalen Installationen kombiniert Lehnerer eigene Werke mit Fundstücken und in Einzelfällen auch mit lebendem Material. Sein Vitrinenensemble „Für eine neue, radikal freie Religion aus dem Geist der Kunst" stellt durch eine dem Denker von Rodin verwandte Christusfigur, ein „Speckkreuz" und einen „Fleischkopf" den Bezug zur Religion im weitesten Sinne her. „Der [gt][gt]Fleischkopf[lt][lt] und das [gt][gt]Speckkreuz[lt][lt] können einerseits als Vanitasmotive, Hinweise auf die Vergänglichkeit alles Irdischen interpretiert werden, nehmen andererseits unmittelbar Bezug auf die Idee der Inkarnation, der Menschwerdung des göttlichen Logos in Jesus Christus. Interessierte Lehnerer das [gt][gt]Material Fleisch[lt][lt] in erster Linie aufgrund seiner skulpturalen Eigenschaften ([gt][gt]Wenn Fleisch trocknet entstehen in den Gesichtern zusätzlich Falten, Spuren und Rinnen, die den Figuren einen neuen Ausdruck verleihen[lt][lt])..., so sah er in der Arbeit mit dem Material [gt][gt]aus dem wir selbst bestehen[lt][lt] und dessen symbolischer und semantischer Bedeutungsvielfalt auch eine Möglichkeit, den theologischen Begriff der Inkarnation ins Menschliche zu wenden. Für ihn war das Spannende an seinen [gt][gt]Fleischköpfen[lt][lt], [gt][gt]dass ein Geistiges in etwas Materiellem, im Fleisch ist und dadurch etwas Lebendiges, das heißt auch etwas Unberechenbares entsteht[lt][lt]"(Margit Brehm/Thomas Lehnerer). In den anderen Vitrinen befinden sich unter anderem Figuren mit Fetisch- und Idolcharakter aus anderen Kulturkreisen, ein Heiliger Christopherus und eine auf die Natur als solche oder auf Naturreligionen verweisende Pflanze. Für Brehm veranschaulicht das Vitrinenensemble, wie Lehnerer für sich den Begriff Religion „von allen dogmatischen Einschränkungen befreit hat, ohne dabei einem Verständnis von Kunst als Ersatzreligion zu verfallen. Als Kunstwerk verdeutlicht es, [gt][gt]dass die Kunst - auf ihre Weise , in ihrer Logik, in ihrer Absoluten Freiheit - mit religiösen und existentiellen Problemen zu tun hat und diese zum Teil sinnfälliger und eindringlicher an den Menschen bringen kann, als es die Kirche tut[lt][lt]" (Margit Brehm/Thomas Lehnerer).
(ham)