Moscheen - Perspektiven einer Bauaufgabe
Katalogbuch zur gleichnamigen Ausstellung der ifa-Galerien in Stuttgart und Berlin vom 27.01. - 01.04. und vom 13.07. - 13.09.2012
Hrsg. von Christian Welzbacher für das ifa mit Texten von Hasan-Uddin Khan, Valérie Hammerbacher, Alma Hudovic und dem Herausgeber
Institut für Auslandsbeziehungen e.V. / Ernst Wasmuth Verlag Tübingen. Berlin 2012, ISBN 978-3-8030-0751-3, 144 S., 145 Farbabbildungen, Paperback, Format 22x 18,5 cm, € 24,--
Im Koran finden sich keinerlei Vorschriften für den Bau einer Moschee außer der exakten Ausrichtung einer Wand nach Mekka. Gleichwohl haben Moscheen mit ihren drei Grundformen des nach byzantinischem Vorbild von einer Kuppel überwölbten Zentralbaus, der langgestreckten rechteckigen Säulenhalle und der offenen Hofmoschee mit drei oder vier Iwanen, also hochaufragenden Toren, die sich in kurze Räume öffnen, Architekturgeschichte geschrieben. Der Nachhall dieser Bauformen findet sich „auch heute noch in den Gebetsräumen vieler Baumeister, die sich kalkuliert in die jeweilige Formensprache einreihen. Der Kölner Architekt Paul Böhm bezieht sich mit seiner Gebetshalle für das islamische Zentrum in Köln-Ehrenfeld in einer freien Adaption auf die osmanische Kuppel-Moschee des 16. Jahrhunderts ... Sie wird durch eine mächtige Großform bestimmt, die sich in aufgesprengten Scheiben nach oben entwickelt... Buchstäblich nimmt die Große Moschee in Abu Dhabi, die Scheich Zayed Bin Sultan Al Nahyan 1996 erbauen ließ, (auf die in Cordoba exemplarisch verwirklichte Pfeiler- oder Säulenhalle) Bezug. 2007 wurde sie fertiggestellt und ist durch die Pracht ihrer Ausstattung mit Halbedelsteinen, Gold und Kristallen zum Wahrzeichen der Stadt geworden" (Valérie Hammerbacher). Der Typus der Hof- oder Iwan-Moschee schließlich hat das Rundbogenportal der kleinen Schalterhalle des Stuttgarter Hauptbahnhofs von Paul Bonatz entscheidend beeinflusst. Anders als beim Bau der Kölner Zentralmoschee gab es beim Bau einer Gebetshalle im schwäbischen Schorndorf 2005 keinen Streit. „Als Kubus mit glattem Putz und weißem Anstrich stellt sich das Gebäude selbstbewusst auf einem Platz dar. Licht ist ein wichtiges Gestaltungsmerkmal. Es zeigt sich im Innenhof und wird durch die großen Fensterflächen ... inszeniert. Die Fenster erinnern dabei ebenso wie die kantige Form und das Flachdach an Elemente der Klassischen Moderne. Die in Moscheen traditionelle Kuppel gibt es in Schorndorf nicht... Das Gebets- und Kulturhaus hat baulich den Schritt in eine neue Zeit gewagt. Trotz Minarett. [gt][gt]Ein Minarett gehört zu einer Moschee wie der Turm zu einer christlichen Kirche oder wie ein Diamant in einen entsprechenden Ring[lt][lt], erklärte der Architekt Saban Yazici. Das sei eine Frage der Gewohnheit, des Geschmacks, auch wenn es keine religiöse Vorschrift dafür gebe. Dass dafür den alten Gemeindemitgliedern etwas genommen wurde, verschweigt der Architekt nicht.... Geblieben sind der zentrale Gebetsbereich..., die nach Mekka ausgerichtete Gebetsfläche, die Gebetsnische, Mihrab, die Predigtkanzel, Minbar, sowie die Galerie für den Muezzin" (Valérie Hammerbach). Dass die Bauaufgabe immer wieder neu erfunden werden muss, zeigt in dem Band unter anderem die bosnischstämmige Künstlerin und Architektin Azra Akšamija. Mit ihrer Arbeit ‚Nomadic Mosque' entwirft sie ein Dirndl, das zu einem Gebetsteppich umfunktioniert werden kann. Weitere Kapitel beschäftigen sich mit Moscheenbauten in postkolonialen Staatengründungen wie in Indonesien und Pakistan, mit einer Formensprache, die für den „Euro-Islam" stehen könnte, mit Tarnarchitektur und der Frage, wie Minarette trotz Verbots präsent bleiben können und mit der Frage, was passiert, wenn sich Moscheen für andere Religionen öffnen.
(ham)