Materie und Mythos
Philipp Reclam jun. Stuttgart, 1997, 4. durchgesehene und aktualisierte Ausgabe 2006, ISBN 978-3-15010611-2, 304 S., 16 Farbtafeln, Hardcover gebunden mit Schutzumschlag, Format 21 x 13,4 cm, € 14,90
Die Malerin, Musikerin und Autorin kulturhistorischer Sendungen des Bayerischen Rundfunks Margarete Bruns geht in kulturhistorischen Essays der Herstellung und Herkunft der acht Farben Rot, Gelb, Grün, Blau, Purpur, Weiß, Schwarz und Gold nach, erläutert ihre vielfältigen Bedeutungen und verfolgt ihre Rollen in allen Bereichen der menschlichen Kultur. ‚Rot‘ ist für sie der König und steht am Anfang der Farben. „Aber was hat Rot mit einem Anfang zu tun? Die Schöpfung hatte doch mit Finsternis und Licht begonnen, mit Schwarz und Weiß, und diese beiden Pole des Sichtbaren samt den zahllosen Graustufen dazwischen hätten auch später, als es sehende Lebewesen gab, zur Orientierung ausgereicht… Doch dann entwickelten sich Augen und Gehirne, die auf die Signale des Lichts eine neue Antwort erfanden: Sie verwandelten das alte Gemurmel von Grau in eine vielstimmige Symphonie aus Farben. Noch fehlte allerdings ein Impuls, der die Farben aus ihrem selbstverständlichen Eingebundensein in die Umwelt herausholen und sie als eigenständiges Phänomen ins Bewusstsein heben würde. Nur Rot als die farbigste aller Farben konnte diesen Sprung auf eine neue Ebene bewirken, einen Sprung, mit dem der menschliche Farbenkosmos seinen Anfang nahm“ (Margarete Bruns). ‚Gold‘ ist für sie unter anderem reines, unvermischtes Licht, materielle Analogie zum Schöpfungslicht und -wort und „durchzieht die christliche Mystik mehr oder weniger explizit wie ein goldener Faden… Gold in seiner reinsten Essenz als unversehrte Schöpfung vor dem Engelssturz und Sündenfall, Glanz der geistigen Sonne und Zeuge einer größeren Wirklichkeit“ (Margarete Bruns). In ihrer Einleitung diskutiert Bruns unter anderem die Frage, wie viele Farben der Regenbogen hat. Sie erwähnt, dass Newton 1670 elf Farben zählt, später fünf und 1704 schließlich sieben. Aristoteles war noch von drei Farben ausgegangen. Goethe nimmt sechs an. „Die christliche Kunst zeigt ihn manchmal dreifarbig, der Dreifaltigkeit entsprechend, manchmal nur aus dem Blaugrün der Sintflut und dem Gelbrot des Jüngsten Gerichts gebildet oder auch allein mit einer einzigen Farbe, wie beim smaragdenen Regenbogen am Thron Gottes in der Offenbarung des Johannes. Bei antiken Autoren kann der Regenbogen als Symbol für Unzählbarkeit sogar [gt][gt]tausendfarbig[lt][lt] sein. Wie viele Farben hat der Regenbogen denn nun wirklich? Da die Spektralfarben ein Kontinuum mit unendlich vielen Übergängen bilden, hängt es von mancherlei Umständen ab, darunter ganz wesentlich auch von unserer Sensibilität, wie viele Farben gezählt werden. Im glücklichsten Fall sollen im Spektrum hundertsechzig Nuancen zu unterscheiden sein“ (Margarete Bruns).
Der von Jakob Steinbrenner, Christoph Wagner und Oliver Jehle herausgegebene Tagungsband ‚Farben in Kunst- und Geisteswissenschaften‘ schlägt vor, mit dem über Immanuel Kants ‚Kritik der Urteilskraft‘ in die ästhetische Diskussion der Philosophie und Kunstwissenschaft eingegangenen Topos von der Farbe als bloßem [gt][gt]Spiel der Empfindungen[lt][lt] und [gt][gt]rein äußerlichem Reiz[lt][lt] zu brechen. „In diesem Tagungsband soll eine Kunst des Erkennens erprobt werden, die den Widerhall der Farbe und die Entsprechungen der Sinne nicht nur mit Genauigkeit und Maß zum Ausdruck bringen möchte, sondern auch ihre epistemologischen, philosophischen und historischen Funktionen zu benennen sucht. Es geht um nicht weniger als darum, Erkenntnissen und dem Wissen über die Farbe eine hinreichend große Exaktheit zu verleihen“ (Oliver Stehle, Jakob Steinbrenner, Christoph Wagner). In den 19 Untersuchungen des Bandes setzt sich Robert Kudielka mit der Eigenart der Bildfarbe, Jutta Müller-Tamm mit dem goldenen Grün und Gottfried Kellers Poetik der Farbe und Christoph Wagner mit [gt][gt]Kolorit[lt][lt] und [gt][gt]Farbe[lt][lt] als Kategorien der Ästhetikgeschichte auseinander. Im Ergebnis bilanzieren die Herausgeber, dass das „Kolorit auf bestem Wege“ ist, „eine historische Kategorie zu werden“, seitdem „die Malerei als künstlerische Gestaltung einer Fläche mit Pigmenten in der jüngeren Kunst nur noch eine von vielen medialen Verwirklichungen eines Bildes ist“. Die „Koloritgeschichte mündet zwangsläufig in eine übergeordnete mediengeschichtliche Betrachtung der Farbe. Gleichzeitig mit dieser wirkungsästhetischen Virtualisierung der Farbe beginnt sich die klassische Bestimmung des Kolorits in der Malerei in der Kunst des 20. Jahrhundert auch in gegenläufiger Richtung aufzulösen: Ausgehend von der Reflexion der [gt][gt]Textur[lt][lt] und der [gt][gt]Faktur[lt][lt] des Kolorits rückt mehr und mehr der materielle Aspekt des Pigments als elementarer Erscheinungsform des Farbigen in den Blick. Eine kultur- und mediengeschichtlich erweiterte Kunstwissenschaft wird sich in Zukunft der Farbe auch jenseits des Kolorits verstärkt zuwenden und sich dabei auf die Einsichten der grundlegenden philosophischen Reflexion zur Farbe als elementarem Wahrnehmungsphänomen stützen können“ (Oliver Jehle, Jakob Steinbrenner, Christoph Wagner).
(ham)
Materie und Mythos
Philipp Reclam jun. Stuttgart, 1997, 4. durchgesehene und aktualisierte Ausgabe 2006, ISBN 978-3-15010611-2, 304 S., 16 Farbtafeln, Hardcover gebunden mit Schutzumschlag, Format 21 x 13,4 cm, € 14,90
Die Malerin, Musikerin und Autorin kulturhistorischer Sendungen des Bayerischen Rundfunks Margarete Bruns geht in kulturhistorischen Essays der Herstellung und Herkunft der acht Farben Rot, Gelb, Grün, Blau, Purpur, Weiß, Schwarz und Gold nach, erläutert ihre vielfältigen Bedeutungen und verfolgt ihre Rollen in allen Bereichen der menschlichen Kultur. ‚Rot' ist für sie der König und steht am Anfang der Farben. „Aber was hat Rot mit einem Anfang zu tun? Die Schöpfung hatte doch mit Finsternis und Licht begonnen, mit Schwarz und Weiß, und diese beiden Pole des Sichtbaren samt den zahllosen Graustufen dazwischen hätten auch später, als es sehende Lebewesen gab, zur Orientierung ausgereicht... Doch dann entwickelten sich Augen und Gehirne, die auf die Signale des Lichts eine neue Antwort erfanden: Sie verwandelten das alte Gemurmel von Grau in eine vielstimmige Symphonie aus Farben. Noch fehlte allerdings ein Impuls, der die Farben aus ihrem selbstverständlichen Eingebundensein in die Umwelt herausholen und sie als eigenständiges Phänomen ins Bewusstsein heben würde. Nur Rot als die farbigste aller Farben konnte diesen Sprung auf eine neue Ebene bewirken, einen Sprung, mit dem der menschliche Farbenkosmos seinen Anfang nahm" (Margarete Bruns). ‚Gold' ist für sie unter anderem reines, unvermischtes Licht, materielle Analogie zum Schöpfungslicht und -wort und „durchzieht die christliche Mystik mehr oder weniger explizit wie ein goldener Faden... Gold in seiner reinsten Essenz als unversehrte Schöpfung vor dem Engelssturz und Sündenfall, Glanz der geistigen Sonne und Zeuge einer größeren Wirklichkeit" (Margarete Bruns). In ihrer Einleitung diskutiert Bruns unter anderem die Frage, wie viele Farben der Regenbogen hat. Sie erwähnt, dass Newton 1670 elf Farben zählt, später fünf und 1704 schließlich sieben. Aristoteles war noch von drei Farben ausgegangen. Goethe nimmt sechs an. „Die christliche Kunst zeigt ihn manchmal dreifarbig, der Dreifaltigkeit entsprechend, manchmal nur aus dem Blaugrün der Sintflut und dem Gelbrot des Jüngsten Gerichts gebildet oder auch allein mit einer einzigen Farbe, wie beim smaragdenen Regenbogen am Thron Gottes in der Offenbarung des Johannes. Bei antiken Autoren kann der Regenbogen als Symbol für Unzählbarkeit sogar [gt][gt]tausendfarbig[lt][lt] sein. Wie viele Farben hat der Regenbogen denn nun wirklich? Da die Spektralfarben ein Kontinuum mit unendlich vielen Übergängen bilden, hängt es von mancherlei Umständen ab, darunter ganz wesentlich auch von unserer Sensibilität, wie viele Farben gezählt werden. Im glücklichsten Fall sollen im Spektrum hundertsechzig Nuancen zu unterscheiden sein" (Margarete Bruns).
Der von Jakob Steinbrenner, Christoph Wagner und Oliver Jehle herausgegebene Tagungsband ‚Farben in Kunst- und Geisteswissenschaften' schlägt vor, mit dem über Immanuel Kants ‚Kritik der Urteilskraft' in die ästhetische Diskussion der Philosophie und Kunstwissenschaft eingegangenen Topos von der Farbe als bloßem [gt][gt]Spiel der Empfindungen[lt][lt] und [gt][gt]rein äußerlichem Reiz[lt][lt] zu brechen. „In diesem Tagungsband soll eine Kunst des Erkennens erprobt werden, die den Widerhall der Farbe und die Entsprechungen der Sinne nicht nur mit Genauigkeit und Maß zum Ausdruck bringen möchte, sondern auch ihre epistemologischen, philosophischen und historischen Funktionen zu benennen sucht. Es geht um nicht weniger als darum, Erkenntnissen und dem Wissen über die Farbe eine hinreichend große Exaktheit zu verleihen" (Oliver Stehle, Jakob Steinbrenner, Christoph Wagner). In den 19 Untersuchungen des Bandes setzt sich Robert Kudielka mit der Eigenart der Bildfarbe, Jutta Müller-Tamm mit dem goldenen Grün und Gottfried Kellers Poetik der Farbe und Christoph Wagner mit [gt][gt]Kolorit[lt][lt] und [gt][gt]Farbe[lt][lt] als Kategorien der Ästhetikgeschichte auseinander. Im Ergebnis bilanzieren die Herausgeber, dass das „Kolorit auf bestem Wege" ist, „eine historische Kategorie zu werden", seitdem „die Malerei als künstlerische Gestaltung einer Fläche mit Pigmenten in der jüngeren Kunst nur noch eine von vielen medialen Verwirklichungen eines Bildes ist". Die „Koloritgeschichte mündet zwangsläufig in eine übergeordnete mediengeschichtliche Betrachtung der Farbe. Gleichzeitig mit dieser wirkungsästhetischen Virtualisierung der Farbe beginnt sich die klassische Bestimmung des Kolorits in der Malerei in der Kunst des 20. Jahrhundert auch in gegenläufiger Richtung aufzulösen: Ausgehend von der Reflexion der [gt][gt]Textur[lt][lt] und der [gt][gt]Faktur[lt][lt] des Kolorits rückt mehr und mehr der materielle Aspekt des Pigments als elementarer Erscheinungsform des Farbigen in den Blick. Eine kultur- und mediengeschichtlich erweiterte Kunstwissenschaft wird sich in Zukunft der Farbe auch jenseits des Kolorits verstärkt zuwenden und sich dabei auf die Einsichten der grundlegenden philosophischen Reflexion zur Farbe als elementarem Wahrnehmungsphänomen stützen können" (Oliver Jehle, Jakob Steinbrenner, Christoph Wagner).
(ham)