Katalogset in vier Heften im konfektionierten Verkaufskarton. Hrsg. von Reinhard Spieler mit Texten unter anderem von Burckhard Dücker, Karen Duve, Wolfgang Ullrich und dem Herausgeber zur gleichnamigen Ausstellung vom 26.11.2011 - 04.03.2012 im Wilhelm Hack-Museum Ludwigshafen
Wilhelm Hack-Museum Ludwigshafen/Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2011, zusammen 216 S., zahlreiche Farbabbildungen, Broschur mit Rückstichheftung, Heftformat 34 x 24,5 cm, Schuberformat 34,8 x 25,5 cm, € 28,--
Das Prinzip Discount lebt vom Versprechen, hohe Qualität zu niedrigem Preis anzubieten und löst es durch den Verzicht auf Zwischenhandel, aufwendige Markenbewerbung, teure Wareninszenierung und große Sortimente ein. Das zum Leben Nötige wird in großen Massen produziert, angeboten und schnellstmöglich umgesetzt. ‚I love ALDI' profiliert deshalb nicht die Marke, sondern „das System, das in dieser Marke Kultstatus erreicht hat. Dieser Kultstatus ist durchaus vergleichbar mit dem Status der Luxus-Labels, so wie die Geschäftsmodelle Luxus-Label und Discount eng miteinander zusammenhängen. In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren fand eine bemerkenswerte Radikalisierung der jeweiligen Geschäftsideen statt, und im gleichen Maße, wie auf der einen Seite die Luxus-Labels enorme Zuwächse verzeichnen konnten, gilt das auch für den Discount-Bereich. Superreich sind nicht nur die Armanis, Versaces, Pinaults (Gucci, Yves-Saint-Laurent, Christies) und Arnaults (LVMH) geworden, sondern eben auch die Albrecht-Brüder (Aldi) und Ingvar Kamprad (Ikea). Als Gegenmodel zum Luxus-Markenfetischismus hat die Aldisierung alle Einkommens- und Bildungsschichten erreicht und mit dem Billig-Virus infiziert" (Reinhard Spieler). Die Katalog-Hefte diskutieren das System unter Stichworten wie Verpackung, Inhalt, Konsum, Kunst und Gesellschaft kritisch und konstruktiv. Knapp gehaltene Auszüge von Grundlagentexten zu Ökonomie, Ware und Konsum unter anderem von Arnold Gehlen, Marcel Mauss, Karl Marx, Max Weber und Sigmund Freud und Auszüge aus den Firmenphilosophien Aldi Süd, Ikea, Kik Lidl, Plus, Netto und Penny zeichnen die spielerisch aufgebaute Ausstellung und die Entwicklung des Denkens über die Warenwelt seit dem 19. Jahrhundert in den Horizont des kulturellen Wandels ein. Zu den bemerkenswerten Arbeiten gehören unter anderem Günter Fruhtrunks Designentwurf für die Plastiktüte Aldi-Nord, um 1970, Thomas Rentmeisters Einkaufswagen im Zuckerberg ‚Ohne Titel', 2007, Piero Steinles 1-Kanal-Video auf DVD ‚Fleisch' von 2011 und Christian Jankowskis Video ‚Die Jagd' von 1992. In diesem Video erjagt sich Jankowski im Supermarkt Äpfel, Gurken und anderes mit Pfeil und Bogen. Weiter Lili Fischers Performance ‚Hungertuch' von 1987, bei der die Darsteller in eine mit Bratensoße, Rotwein, Tee, Kaffee, Spinat und Rote Bete befleckte Damast-Tischdecke beißen und Winfried Baumanns und Anna Biens ‚Kunstautomat -Sterngasse' von 2010. Baumann und Bien haben einen aufgelassenen Zigarettenautomaten umgebaut und bieten seither in dem Automaten zeitgenössische Kunst für alle zum günstigen Preis von 5 € an. Nach der Eigenwerbung der Künstler ist der Kunstautomat Sterngasse ein Beitrag zur Demokratisierung der Kunst. Er will die Ausweitung des Kunstverbrauchs auch auf Normal- und Niedrigverdiener erreichen. Es senkt die Hemmschwelle zum Elfenbeinturm der Kunstavantgarde, bietet dem Sammlernachwuchs Multiples an und wird so zum einfachen Weg zur eigenen Kunstsammlung. Felix Droese hatte Vergleichbares im Sinn, als er 2003 zusammen mit Künstlern wie Paul Schwer und Thomas Virnich zwei eigene Motive in die Aldi-Auflagenedition von je 10.000 Stück ein- und zum Preis von 12,99 € über Aldi in den Verkauf gebracht hat. Droeses signierte Drucke waren in kürzester Zeit ausverkauft und auch nur vorübergehend im Internet-Auktionshaus Ebay zur Zweitverwertung angeboten worden. „Der Kritik, sich als Zugpferd für die Verkaufsaktion instrumentalisieren zu lassen, setzte Droese die griffige Formulierung: ‚Ich hab' die Kunde und Aldi hat die Kunden' und den Hinweis, mit dieser Aktion ein Publikum zu erreichen, das vom bürgerlichen Bildungskanon ausgeschlossen wird', entgegen. Das Konzept der geistigen ‚Grundversorgung' rekurriere auf das Bundessozialhilfegesetz, wonach zum notwendigen Lebensunterhalt auch die Teilnahme am kulturellen Leben gehört (§ 12)" (Judith Elisabeth Weiss). Weiss gibt sich mit diesem Hinweis aber nicht zufrieden. Die Tatsache, dass die Droese-Grafiken innerhalb weniger Monate auch komplett aus dem Ebay-Angebot verschwunden sind, wirft nach ihrer Auffassung die Frage auf, „warum die Werke eines so renommierten Künstlers nicht zu höheren Preisen weitergehandelt wurden. Die Erklärung, dass die Kunst letztlich als ersetzbarer Einleger fungiert hat und der Rahmen der eigentliche Kassenschlager war, ist naheliegend: Lediglich die Passepartouts waren signiert, nicht die Originaldrucke - vermutlich wurde ein Großteil der ‚Kunstwerke' von den Käufern weggeworfen und durch andere Bilder ersetzt. Bezeichnend außerdem die Rahmenhandlung der Aktion: Nicht Aldi hatte den Verkauf von Kunst in seinen Filialen initiiert, sondern der Rahmenhändler, der zur Sicherung eines Großauftrags nach neuen Möglichkeiten des Absatzes von Rahmen suchte. Kunst als Instrument der Wahrnehmungssteigerung war von Aldi ursprünglich also nicht intendiert. Damit wird die Kategorie ‚Aldi-Kunst' hinfällig und die Tatsache plausibel, dass der Discounter die Werke ausschließlich als Ware in Umlauf brachte und diese selbst nicht als archivierungswürdiges Kulturgut aufbewahrte" (Judith Elisabeth Weiss).
(ham)