Leben Lernen 2018
Klett-Cotta, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-608-89076-1, 256 S., Hör-CD, Broschur, Format 21 x 13,5 cm, € 27,95
Neue bildgebende Verfahren wie die funktionelle Kernspinntomografie und die funktionelle Magnetresonanztherapie und gut zwei Jahrzehnte Hirnforschung erlauben es, Menschen gleichsam beim Denken zuzuschauen. John-Dylan Haynes von der Berliner Charité geht noch einen Schritt weiter: Wenn man die Ergebnisse seiner Forschungen weiterspinnt, sollte es in einigen Jahren möglich sein, vorauszusagen, was Menschen denken und wie sie sich entscheiden werden. Dass derartige Perspektiven die Fantasien der Internationalen Gesellschaft für Kunst, Gestaltung und Therapie befeuern, verwundert kaum. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, die Wechselwirkungen zwischen Kunst, Gestaltung und Therapie und insbesondere zwischen der Kunst und der Lebensgestaltung des gesunden wie des kranken Menschen zu erforschen. In diesem Zusammenhang sollen nicht nur die heilenden, sondern auch die vorbeugenden Wirkungen der Künste in der Gestaltung des Alltags, in Erziehung und Unterricht, in der Therapie psychischer Erkrankungen, aber auch im Umgang mit Schwerkranken und Sterbenden einem systematischen Wissen näher gebracht werden. Deshalb hat es sich für die Mitglieder der Gesellschaft nahegelegt, zu fragen, ob sich die vielfach beschriebenen Wirkungen künstlerischer Therapien nicht mit den Methoden der Hirnforschung nachweisen lassen. So hat die auf Bindungsforschung spezialisierte Anna Buchheim und ihre Gruppe untersucht, ob sich bei Boderline-Patientinnen im Vergleich zu Gesunden bei Bildern vom Allein- und Verlassensein Aktivierungen in Gehirnregionen zeigen, die mit Furcht oder Schmerz assoziiert sind. Im Ergebnis „zeigten die Borderline-Patientinnen signifikant häufiger „'traumatisch-dysregulierende' Marker im Vergleich zu Gesunden" (Anna Buchheim). Christoph Mundt, Heidelberg, gibt einen Überblick über neuere Studien zu neurobiologischen Aspekten kreativer Studien und Hans Förstl, München, beleuchtet das Gehirn als soziales Organ.
Silke Heimes, Calw, legt in ihrer leicht lesbaren, knappen und doch umfassenden Übersichtsstudie „Künstlerische Therapien" Grundlagen, Methoden, Ziele, Möglichkeiten und Wirkungen der künstlerischen Therapien dar. Heimes plädiert für eine kunsttherapeutische Forschung, die unter anderem auf kontrollierte Subjektivität statt auf die sonst übliche Objektivität setzt, auf eine den salutogenetischen Kriterien gerecht werdende Einzelfallforschung- und Dokumentation und den Vorrang des Kausalerkennens aus dem Einzelfall: „Diese Form des Kausalerkennens... gründet dann, statt auf statistische Korrelationen , auf der so genannten abbildenden Korrespondenz, wie Helmut Kiene sie beschreibt: ‚Während beim statistischen Experiment die Ergebnisse desto verlässlicher sind, je einfacher der Zusammenhang, steigt beim abbildenden Experiment die Erkenntnissicherheit mit der Komplexität der Abbildung'" (Silke Heimes/Helmut Kiene).
Helmut Kuntz schließlich legt mit seiner Arbeit zu imaginativen Verfahren eine Ermunterung und eine Ermutigung zum Arbeiten „mit dem wertvollen Schatz des imaginativen Methodenrepertoires" (Helmut Kuntz) vor. Für Kuntz leitet sich die Kraft dieser Methoden aus der Evolutionsgeschichte des Menschen ab. Am Anfang steht für ihn nicht die Sprache und das Wort, sondern „das Sehen und das Handeln sowie Bilder als Abbilder des Geschauten und Erlebten... Imaginationen (sind) erst einmal eine Fülle bloßer Ideen, Methoden und Techniken, um mit anderen Augen sehen zu lernen... Imaginationen in der Psychotherapie sind (schließlich) ... Mittel zum Zweck wirksamer Psychotherapie... Vorstellungskraft ist Zauberkraft, aber Imagination ist keine Magie..." (Helmut Kuntz).
(ham)