Katalogbuch zur gleichnamigen Ausstellung vom 26.02. - 11.06.2012 im Museum of Modern Art, New York mit Beiträgen von Johanna Burton und John Waters
Museum of Modern Art, New York/Schirmer/Mosel Verlag GmbH, ISBN 978-3-8296-0567-0, 264 S., 255 Abbildungen in Farbe und Duotone, Leinen gebunden mit Schutzumschlag, Format 31,2 x 24,8 cm, € 58,-- (D)/€ 59,70 (A)/SFR 81,90
Die 1954 geborene Cindy Sherman ist mit ihren ‚Untitled Film Stills' aus den späten 1970-er Jahren bekannt geworden. Die Bilder zeigen Sherman in fiktiven Filmszenen und lassen den Betrachter an archetypische Situationen aus Filmen unter anderem von Hitchcock oder Antonioni denken. „Die ‚Untitled Film Stills' waren ... der absolute Anfang meiner Karriere... Ich glaube, das, womit man den Durchbruch schafft, bleibt immer das Werk, das den Leuten am besten gefällt" (Cindy Sherman). Ihre ‚Centerfolds' lehnen sich subversiv an die ausklappbaren Mittelseiten von Pornoheften an. Aber ihre Frauen blieben angezogen und wirkten eher verstörend als aufreizend und verführerisch. Sherman wollte sich in dieser Serie mit dem Centerfold-Format auseinandersetzen. Und „das geht mit der liegenden Figur am besten. Außerdem wollte ich etwas über das Wesen von Centerfolds aussagen. Man sieht eine Frau da liegen, man schaut näher hin, und plötzlich denkt man, ups, bei diesem intimen Moment wollte ich eigentlich nicht stören. Meine Absicht dahinter war, dass den Leuten ein bisschen unbehaglich wird" (Cindy Sherman). Ihre ‚History Portraits' aus den 1990-er Jahren zeigen Sherman als Renaissance-Madonna, Kurtisane oder Aristokratin und sind im Stil der Portraitkunst alter Meister gehalten. Ihre ‚Disaster'-Serie von Essensresten und Erbrochenem kommt ohne sie aus und verlässt ihr Ausgangsprinzip: Cindy Sherman ist über ihre Lust, sich zu verkleiden, zur Fotografie gekommen. So ist ein Schnappschuss von ihr und ihrer Freundin Janet Zink wohl aus dem Jahr 1966 überliefert, in dem sich die beiden Mädchen als alte Damen verkleidet haben und auf der Straße spazieren gehen. „Ich versuchte, wie eine andere Person auszusehen - sogar wie eine alte Dame... Ich verkleidete mich als Monster oder so was in der Art, das fand ich viel lustiger, als einfach nur wie Barbie auszusehen" (Cindy Sherman). Während ihres Malerei-Studiums bestand sie einen Pflichtkurs in Fotografie zunächst deshalb nicht, „weil es ihr an dem nötigen technischen Geschick fehlte. Sie belegte die Lehrveranstaltung noch einmal und geriet jetzt an eine Dozentin - Barbara Jo Revelle -, der es weniger auf technische Perfektion ankam, sondern die ihre Studenten mit Concept Art und anderen zeitgenössischen Kunstbewegungen vertraut machte. So lernte Sherman die Arbeit feministischer Fotokünstlerinnen wie Lynda Benglis, Eleanor Antin und Hannah Wilke kennen, aber auch männliche Body-Art und Video-Künstler wie Chris Burden und Vito Acconci" (Eva Respini). Für ihre weitere Entwicklung prägend wurde ihre Begegnung mit Robert Longo. Er hat ihre grandiose Fähigkeit, beim Verkleiden in andere Rollen schlüpfen und dabei zu einer anderen werden zu können, erkannt und sie dabei unterstützt: „Als ich mit Robert Longo zusammen war, hat er mich in den Klamotten gesehen und gesagt: 'Weißt du, damit solltest du wirklich etwas anfangen'" (Cindy Sherman/Robert Longo). „Damals fing ich an, mich zu fragen, warum ich eigentlich malen sollte. Das kam mir einfach sinnlos vor"(Cindy Sherman). Zu ihren verstörendsten Arbeiten gehört ihre Langzeitserie der Clowns. „Es war eine richtige Kunst zu lernen, ein Clowngesicht zu schminken. Zuerst schminkte ich etwas, das ich für eine Clownsmaske hielt, aber es sah einfach nicht richtig aus. Als ich mich dann im Netz schlau machte, sah ich lauter Bilder von Leuten, die sich als Clowns für Kinderfeste anboten. Aber ich fand, der eine sieht aus wie ein Alkoholiker, der andere vergreift sich an Kindern, der dritte ist ein Trauerkloß, weil niemand ihn liebt - und deswegen möchten sie alle Kinder zum Lachen bringen. Da habe ich angefangen, mir Gedanken über den Charakter hinter der Schminke zu machen, das hat mir geholfen, mir den Clown insgesamt vorzustellen. Und ab diesem Punkt hat die Sache richtig Spaß gemacht" (Cindy Sherman).
(ham)