Journal für Religion [&] Moderne Band 2, 4, 5, 6, 7
Hrsg. von Martin Knechtges und Jörg Schenuit
Verlag Ferdinand Schöning, Paderborn, 2008 - 2010, ISBN 978-3-506-764979 (Band 2), 128 S. (Band 2, 4, 7) und 148 S. (Band 5 und 6), Klappenbroschur, Format 23,5 x 15,8 cm, pro Band € 12,90
Unter den Tageszeitungen zählen die Neue Züricher Zeitung, die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Allgemeine Zeitung zu den führenden Organen. Unter den philosophischen Periodika der bei Klett Cotta, Stuttgart erscheinende Merkur und unter den mit Kunst, Kultur und Religion verbundenen Publikationen das sechsmal im Jahr im Radius Verlag in Stuttgart erscheinende Plateau und die seit September 2007 zweimal im Jahr bei Ferdinand Schöning, Paderborn erscheinende Fuge. Die Fuge versteht sich programmatisch als Journal für ‚Religion und Moderne' und wird von dem 1967 geborenen Philosophen, Linguisten und wissenschaftlichen Referent an der Katholischen Akademie in Berlin Martin Knechtges und dem katholischen Autor Jörg Schenuit, Berlin herausgegeben. Zum Beraterteam gehören unter anderem die Theologen Klaus Mertes SJ und Johannes Rauchenberger, Graz und die Sozialphilosophen und Soziologen Hans Joas, Erfurt/Chicago und Franz-Xaver Kaufmann, Bonn. Jeder Band steht unter einem wechselnden Oberthema. Nach dem Erscheinen kommen Leser, Autoren und Herausgeber zu Gesprächen zusammen. Unter den bisher erschienenen Bänden ragen der 2. Band vom März 2008 zum Thema ‚Profane Zumutungen' mit Texten und Essays unter anderem von Léon Bloy, Anthony Carty, Terry Eagleton und einem Gespräch zwischen Friedrich Wilhelm Graf und Jörg Schenuit über den intellektuellen Eros und die Unmittelbarkeit Gottes und die als Doppelband zum Thema Epiphanie herausgegebenen Bände 4 (‚Der Schein des Unendlichen', März 2009) und 5 (‚Verwandlung', September 2009) heraus. Alle Bände kreisen ausgesprochen-unausgesprochen um die Abwesenheit Gottes, die Metamorphosen des Heiligen, das Phänomen der Postsäkularität, katholische Intellektualität und die Zumutungen der Profanierung. Bei Martin Knechtges liest sich diese Zumutung in seinem Essay ‚Lob der Hagebutten. Eine Art Bekenntnis' im Auszug wie folgt: „Ich habe mir von Kind an gewünscht, mit Gott zu sprechen und dem Christus so persönlich zu begegnen. Ob im Gebet oder in der Kirche, ich habe gelauscht auf eine Antwort. Aus heutiger Sicht mutet es naiv an, auf eine Epiphanie zu warten; als sei eine solche Begegnung mit dem Höchsten nicht auch etwas verstörend Schreckliches. Und ich muss auch einräumen, dass meine Phantasien einer Begegnung mit Gott Ähnlichkeiten haben mit jener fahrlässigen Abenteuerlust, die die kindliche Phantasie und ihren freudig überbordenden Heldenmut mit Vorstellungen erfüllen. Doch während andere Heldenträume der Kindheit in Vergessenheit gerieten, seit Kindertagen verworfen sublimiert oder relativiert wurden, und die Bewährungen, die es im Leben zu bestehen galt, sich von den abenteuerlichen Phantasien unterscheiden ließen, ist der Wunsch, Gott selbst möge zu mir sprechen, lebendig geblieben. Mehr noch: Mit wäre es ein das Leben gefährdender Verrat, wenn ich es nicht wenigstens für möglich hielte, dass Er erschiene.
Wenn ich aber die Möglichkeit einer Epiphanie in meinem Leben bei Lichte bedanke, dann gilt es zu konstatieren: Ein direktes Wort ist an mich bislang nicht ergangen. Und lügen müsste ich, wenn ich sagte, dass mich das kalt gelassen hätte. Den Einbruch des großen Anderen - mir scheint, als bekäme ich ihn hautnah nur als Sehnsucht zu spüren, in meinem Wunsch, Gott möge mir auf eine Weise nahe sein, wie mir der menschenfreundliche Jesus in den Katechesen und Gottesdienste meiner Kindheit erschien. Bis heute kann mich die Idee, dass Gott Mensch geworden sein soll, zutiefst verwundern. Eine solche Zuwendung bleibt mir, aller Sehnsucht zum Trotz, unbegreiflich, und der Schritt, mich ihr auszuliefern, die große Tat des Lebens" (Martin Knechtges in: Fuge Band 5, 2009, S. 8). Für Norbert Hummelt bildet sich die Spannung zwischen der Profanierung des Heiligen und dem Warten auf neue Epiphanien in einem „Hauch zerbrochener Bilder" und der bleibenden „ästhetischen Faszination des Katholischen" ab (Norbert Hummelt in Fuge Band 6, 2010, S. 7 ff). Hummelt war eingeladen worden, in der Katholischen Akademie Berlin über die ästhetische Faszination des Katholischen zu sprechen. Er hielt diese Aufgabe durchaus für lösbar, zumal er sich zum Zeitpunkt der Einladung in Venedig und damit unter dem Eindruck der von den jeweils besten Künstlern ihrer Zeit gestalteten Kirchen und Liturgien befand: „Die das öffentliche Leben prägende Kraft des katholischen Kultus war allgegenwärtig... Das dauerte noch bis in die Romantik fort.... Die künstlerisch formende Kraft des Kultus wirkte auch noch in der Parodie, etwa wenn im Ulysses des katholischen irischen Dissidenten James Joyce gleich zu Beginn das Stufengebet mit dem Psalmenvers ‚Introibo ad altare dei' dem lästerlichen Medizinstudenten Buck Mulligan in den Mund gelegt wird, der statt der heiligen Gefäße für die Wandlung ein Rasiermesser und einen Handspiegel auf einem Tablett balanciert. Dass der Jesuitenschüler Joyce schon in seinem autobiographischen Roman ‚Porträt des Künstlers als junger Mann' dem Dienst an der Kirche abgeschworen hatte, hinderte ihn nicht, die einzigartige Form einer geistigen Ordnung zu bewundern, die im altehrwürdigen Ritus der lateinischen Messe vorlag ... Im heute sogenannten außerordentlichen Ritus gingen Wort und Handlung so auseinander hervor, dass das Wort zugleich setzendes Handeln war und die stumme Geste Wortbedeutung annahm. Im reformierten Ritus wird die Messe nur noch selten so gefeiert, dass man ihr eine ästhetische Faszination nachsagen kann, und nichts schränkt die Strahlkraft, die vom Katholischen auf den geistigen Menschen ausgeht, so sehr ein wie diese kirchliche Selbstdemontage..." (Norbert Hummelt). Für Hummelt folgt daraus ein Zustand allgemeiner Sprachverwirrung und in der logischen Folge gibt es „keine gemeinsamen Bilder mehr..., keine Übereinkunft über die Anschauung der Welt... Die Frage kann so nur heißen, ob unter dem Haufen zerbrochener Bilder, die unsere Wahrnehmung bestimmen, noch genuin katholische herumliegen, welche ästhetische Faszination von ihnen ausgeht und wie und unter welchen Umständen sie noch empfunden werden kann... (Norbert Hummelt). Für Hummelt gehört es zu den Vorzügen der katholischen Religion, „ein reichlich heterogenes Gemisch aus Denk- und Gefühlslagen einigermaßen gelassen ertragen zu können. Man kann als Katholik ganz gut mit dem Zweifel, sogar mit dem Unglauben leben, solange die Sinne es besser wissen. Ich zumindest kann das, solange ich Zugang finde zu den Bruchstücken der Tradition und im Umgang mit den durch den Glauben einstmals geheiligten sinnlichen Formen, denen ich mich anvertrauen kann und deren Evidenz von meiner Gemütslage nicht abhängt. Diese Formen kümmern sich nicht um mich, nicht mehr, als die Kuppel von Santa Maria Salute für mich erbaut wurde, aber sie sind da. Was ich tun kann, um Ihnen näher zu treten, habe ich als Kind gelernt. Ich kann meine Hand ins Weihwasserbecken tauchen, ich kann meine Knie beuten, ich kann Kerzen anzünden, so hat es angefangen und so wird es enden. Katholisch ist es, über die Sinne das Herz so zu erheben, dass man den Kopf für einen Moment aus dem Sumpf stecken kann, in den uns die Denkgewohnheit einschließt" (Norbert Hummelt). An seinem letzten Tag in Venedig ist eben dies bei der Abendmesse in der Kirche der Karmeliter im Mitvollzug der Lauretanischen Litanei („Sancta Maria, ora pro nobis. Sancta Dei Genitrix, ora pro nobis, Sancta Virgo Virginum, ora pro nobis") möglich geworden. Hummelt versichert, dass er in diesen Augenblicken „uralt-gebrechlichen Gesangs eins war mit der Gemeinschaft der Heiligen... Ich fühlte mich auf einmal sehr alt, um nicht zu sagen Hunderte von Jahren alt, fühlte mich aufgehoben und getragen von der Lauretanischen Litanei. Diese Freude nahm ich mit, als uns anderntags das Vaporetto über den Canale Grande bis zum Parkhaus trug, wo das Auto mit dem Berliner Kennzeichen schon auf uns wartete" (Norbert Hummelt).
(ham)