James Turrell
The Wolfsburg Projekt
Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 24.10.2009 - 05.04.2010 im Kunstmuseum Wolfsburg
Hrsg. von Markus Brüderlin und Esther Barbara Kirschner mit einem Essay von Peter Weber und Beiträgen von Richard Andrews, Markus Brüderlin, Esther Barbara Kirschner und Annelie Lütgens
Kunstmuseum Wolfsburg/Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 2009, ISBN 978-3-7757-2455-5, 180 S., zirka 165 Farbabbildungen, Hardcover gebunden mit Schutzumschlag, Format 24,6 x 31 cm, € 34,-- (Museumsausgabe)
James Turrell
Zug Zuoz
Hrsg. von Matthias Haldemann für das Kunshaus Zug und die Walter A. Bechtler Stiftung mit einem Text von Matthias Heldemann, einem Gespräch zwischen dem Herausgeber und dem Künstler und Fotografien von Florian Holzherr
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 2010, ISBN 978-3-7757-2602-3, 125 Farb- und 9 s/w-Abbildungen, Leinen gebunden, Format 29 x 21,7 cm, € 39,80 (D)/SFR 64,--
Licht spielt als Lebensträger in allen Kulturen, Zeiten und Religionen eine zentrale Rolle. Das griechische ‚phos' umspannt das weite Bedeutungsspektrum Lebenslicht, Seele, Heil und Glück. In der hebräischen Bibel gilt das Licht als das feinste aller Elemente und Kräfte und als der Erstling alles Geschaffenen (1. Mose 1, 3).
Die Gestirne sind nicht mehr selber Götter und Licht, sondern Träger des Lichts (1. Mose 1, 14-16). Das Licht bleibt Attribut des einen Gottes, sein Kleid (Psalm 104, 2). Seine Nähe kündigt sich durch Lichterscheinungen an. Sein Antlitz ist der Ursprung des Lichts und des Heils (Psalm 4, 7; Psalm 27, 1). Das Licht ist der Lebensraum des Menschen und Gottes Licht geht über allen Menschen auf. Nach der Weihnachtsgeschichte wird die Geburt Jesu vom Lichterglanz der Engel begleitet (Lukas 2, 9). Das Angesicht des verklärten Jesus leuchtet wie die Sonne; seine Kleider erscheinen weiß wie das Licht (Matthäus 17, 2). Im himmlischen Jerusalem wird man kein Licht und keine Sonne brauchen, weil Gott selber die Stadt erleuchtet (Offenbarung 22, 5).
Wenn man weiß, dass James Turrell als Schöpfer des künstlerischen Observatoriums ‚Roden Crater' in der Wüste von Arizona, der Lichtinstallation ‚Bridget's Bardo' für das Kunstmuseum Wolfsburg, der Lichtarchitektur ‚Light Transport' für den Bahnhof von Zug, des Skyspace ‚Piz Uter' von Zuoz und vieler anderer Lichtinstallationen auf der ganzen Welt einer weltoffenen Quäkerfamilie entstammt, wird, man bei seinen Lichtskulpturen zu allererst an das Bedeutungsspektrum des jüdisch-christlichen Lichtverständnisses denken. Darüber hinaus wird man sich an George Fox erinnern: Der Gründer der Quäker, ein ehemaliger Schuster und mystisch veranlagter religiöser Visionär, gewann nach einer Zeit der geistlichen Suche und einem inneren Erlebnis 1647 die Überzeugung, dass allein das jedem Menschen innewohnende „innere Licht" als Stimme Gottes zur Wahrheit, Wiedergeburt und zum Heil führt. Fox berief sich dabei auf den Anfang des Johannesevangeliums, nach dem mit Jesus das wahre Licht in die Welt kommt, das jeden Menschen erleuchtet (Johannes 1, 9). Seine Anhänger nannten sich anfangs „Kinder des Lichts" und „Freunde der Wahrheit", später „Society of Friends". In einem Interview im Jahr 2006 spricht Turrell davon, dass er daran interessiert ist, dass „das Sehen-mit-geöffneten-Augen das innere imaginative Sehen trifft und es sich so gestaltet, dass zwischen diesen Realitäten kein so großer Unterschied zu bestehen braucht". Man könnte diesen Satz so verstehen, dass Turrell ein harmonisches Miteinander des bei den Quäkern gepflegten inneren Sehens und des wahrnehmungspsychologisch erforschbaren äußeren Sehens anstrebt.: Turrell war während seiner Ausbildung früh mit der Wahrnehmungsforschung in Berührung gekommen und hat 1968 mit dem Wahrnehmungspsychologen Edward Wortz zusammengearbeitet. Aber es irritiert dann doch, dass er zwar an die Notwendigkeit und den Gedanken spiritueller Sensibilitäten und Dimensionen glaubt, die über uns hinausgehen, aber es für ihn das Entscheidende ist, „sie dem Bereich des religiösen Vokabulars zu entreißen" (James Turrell im Gespräch mit Oliver Wick 1990). Wer in Turrells komplexen Lichträume wie der Künstler selber „visuelle Koans" sieht, kann sie dann als „die fortgeschrittene Konsequenz einer Annäherung moderner, abstrakter Kunst an die östliche Idee der ‚erfüllten Lehre' ... (begreifen), in der die Natur jenseits der Ratio ganz selbstverständlich als Erlebnisqualität mitschwingt" (Markus Brüderlin). Es geht um Erfahrungen, in denen man sich selber sehen sieht und in denen es schwierig wird, zwischen dem inneren und äußeren Sehen zu unterscheiden. Es würde eine Untersuchung lohnen, ob das von Turrell angestrebte Sehen zwingend vom Zenbuddhismus her gedeutet werden muss oder ob es nicht doch schon im anti-institutionellen mystisch-visionären Ansatz von George Fox und dem gottesdienstlichen stillen Warten auf das innere Licht wurzelt, auf das sich die Quäker berufen. Man könnte dann auf die religiöse Überhöhungen von Turrells Werk verzichten und bräuchte auch nicht mehr davon zu sprechen, dass Turrells Lichtkunst die Spitze einer Entwicklung markiert, „die von der Abstraktion über die Selbstoffenbarung des Lichtes bis zur Eroberung des kosmischen Raumes reicht" (Markus Brüderlin).
Gleichwohl: Turrells Lebenswerk, die kosmische Beobachtungsstationen im Roden Crater und seine in Wolfsburg installierte und um 90 Grad in einen unendlich wirkenden Innenraum gedrehte Entsprechung, der Ganzfeld-Raum ‚Bridget's Bardo' sind im vorliegenden Katalog glänzend kommentiert und dokumentiert. Und der zwingende und wissenschaftlich gesicherte Nachweis, dass Turrells Ansatz aus den Grundannahmen der Quäker abgeleitet werden könnte, steht noch aus.
Die in Wolfsburg gezeigten Tall Glass Pieces schlagen die Brücke nach Zug und Zuos. Sie lassen sich als eine Umkehrung der Sky- spaces begreifen und leben wie der Zuozer Skyspace ‚Piz Uter' und die Lichtarchitektur des Zuger Bahnhofs von fortgeschrittener LED-Technik: „So wie der Raum in ein wechselndes Licht getaucht erscheint, das vom ‚Tall Glass Piece' ausgeht...., so gibt es auch eine Interaktion zwischen Deckenausschnitt und Raum, zwischen Naturlicht und Kunstlicht in den Skyspaces. Diese reagieren auf verschiedene Qualitäten des Lichts draußen und drinnen... Die Veränderung des natürlichen Lichts während der Tageszeiten im ‚Skyspace' mit allen polychromatischen Dämmerungsphasen findet ihr Äquivalent im Farbverlauf der Leuchtdioden beim ‚Tall Glass Piece'" (Annelie Lütgens). Der nahe dem Hotel Castell in Zuoz am Berghang platzierte Skyspace ‚Piz Uter'erinnert in seiner zylindrischen Form und seiner kreisrunden Öffnung zum Himmel an archaische Kultstätten, eine Stupa, eine Bergkapelle oder auch an das Pantheon. Wie die Beobachtungsräume des Roden Crater öffnet und schließt auch der Skyspace ‚Piz Uter' den Zugang zum Himmel. Er wird darüber hinaus zum Klangraum, der das Tropfen des Regens, die Vogelstimmen des nahen Waldes und den Verkehrslärm im Tal verstärkt. „Für die Sonnenuntergangsphase und für die Nacht hat Turrell computergesteuerte Kunstlichtszenarien bestimmt; rund fünfzig Farben gehen stetig ineinander über und mischen sich mit dem Naturlicht. Immer neue subtile Töne nimmt der Himmel an... Allmählich überstrahlt das Kunstlicht das Restlicht des Nachthimmels, so dass die Deckenöffnung sich langsam schließt und zuletzt wie ein kompakter schwarzer Deckel wirkt" (Matthias Haldemann). Für die Lichtarchitektur des Zuger Bahnhofs hat Turrell drei Programmsequenzen mit verschiedenen Grundfarben und variierenden Tempi konzipiert. „Das erste umfasst das gesamte Gebäude.... Beim zweiten Programm wechselt die Farbe überall von unten nach oben. Beim dritten verläuft sie von der Dachspitze nach vorne und dann allseits nach unten.... Der ‚Skyspace Piz Uter'... (und der Lichtraum) 'Light Transport'... sind exemplarische Heterotopien im urban-natürlichen Raum. Beseelte Zeiträume des Sehens, Weltmodelle und Metaphern von uns selbst...."(Matthias Haldemann). Ich füge hinzu: Der Roden Crater und Bridget's Bardo sind es auch und darüber hinaus Erinnerungen an das „innere Licht", das die Quäker in jedem Gottesdienst erwarten.
(ham)