Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 27.03. - 06.06.2010 im Saarlandmuseum Saarbrücken
Hrsg. von Ralph Melcher mit Texten unter anderem von Kathrin Elvers-Švamberk, Myriam Herbel und Babette Richter
Saarlandmuseum Saarbrücken/Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 2010, ISBN 978-3-7757-3605-4, 136 S., ca. 110 Farbabbildungen, Broschur mit Schutzumschlag, Format 28 x 21 cm, € 19,80 (D)/SFR 35,-
Vincent Tavenne erzählt gelegentlich mit Schalk in den Augen, dass er sich im Umgang mit den tonnenschweren Skulpturen seines Lehrers Ulrich Rückrien geschworen habe, selber einmal nur Skulpturen zu schaffen, die er im Zweifelsfall auf dem eigenen Rücken nach Hause tragen kann. Wenn man sein bis 2010 entstandenes und im Saarlandmuseum in herausragenden Beispielen vorgestelltes Werk überblickt, hat er sich in den allermeisten Fällen an die eigene Devise gehalten. Konsequenterweise ist er dann auch mit seinem teils geschlossenen, teils begehbaren Stoffskulpturen bekannt geworden, die auf den jeweiligen Ort Bezug nehmen und die die räumlichen Gegebenheiten ausloten. So hat Tavenne mit seiner 2008 für den Aufgang der Turmgalerie in der Hospitalkirche Stuttgart geschaffenen Installation ohne Titel zu einem virtuellen Aufstieg in einen 10 Meter hohen Farbenhimmel eingeladen. In die Stoffbahnen eingeschnittene Löcher haben beim Begehen der Treppe auch den Blick nach unten erlaubt. Die Skulptur konnte dann beim Abbau auf wenig mehr als auf Rucksackgröße zusammen gefaltet werden. Der im Saarlandmuseum ausgestellte begehbare zylindrische Holzturm mit Bullaugenausblick dürfte deutlich schwerer geworden sein. Zu den Stoff- und Holzskulpturen kommen Alltagsobjekte in irritierenden Größenordnungen wie eine Käseschachtel für Riesen, ein Kronkorken für 20-Liter-Flaschen und ein Gemeinschaftsteller für eine ganze Kompanie. Tavennes aus unabhängig voneinander bemalten Blättern zusammengesetzten Wand füllenden Papierarbeiten werden erst am Ende zusammengeklebt. Zu den naturgemäß nicht passgenauen Ansatzkanten der freihändig erstellten Motivsegmente treten entlang der Klebesäume ... auch noch ein Raster durchlaufender Knicke, Ober- und Unterbrüche, die ihren Ursprung darin haben, dass Tavenne die montierten Bilder nach dem Prinzip einer Landkarte zusammen- und wieder auseinanderfaltet" (Kathrin Elvers-Švamberk).
In seinen von ihm „Psychokisten" genannten Guckkästen versammelt Tavenne Alltagsgegenstände, so nachgebaute Flaschen, Bierdeckel, angebissene Landjäger und Caltex Motorenöl und lässt damit Erinnerungen an Tag- und Nachtträume aufscheinen. Seine Guckkästen werden im Miteinander mit seinen Skulpturen, Gouachen und Malereien zu einer Art allumfassenden postmodernen Wunderkammer, in der man auf sich widersprechende Weltmodelle trifft, die nebeneinander her existieren. Der Besucher wird sich dann überlegen, ob er sich von einem Modell geistig in Beschlag nehmen lassen oder Denkalternativen zulassen will: „Polarise-toi".
(ham)