Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Graphikmuseum Pablo Picasso, Münster, vom 14.11. 2008 – 04.03. 2009. Hg. vom Museum. Mit Texten von Èlisabeth Pacoud-Rème, Markus Müller und Maurice Fréchuret. Hirmer Verlag, München, 2008, ISBN 978-3-7774-6025-3, 166 Seiten, 145 Abb. in Farbe, gebunden, Format 28 x 22 cm, € 29,90
Wieder mal Chagall? Alles schon gesehen? Museumsshop-Kaffeetassen-Seidenschal-Zum-Davonlaufen-Dekorationsmalerei? Dachte ich auch. Bis mir auffiel, dass ich noch nie wirklich bewusst vor einem Chagall gestanden habe. Es gibt Künstler, die im sekundären Vermarktungskreislauf der Kunstmafia derart präsent sind, dass jeder Kunstfreund meint, ihr Œuvre durchdrungen zu haben, in Wirklichkeit aber nur die Merchandising-Bildschatten gutiert hat.
Hier bietet sich zur Abhilfe der vorliegende Katalog an, der rund siebzig (!) Jahre Malerei des russischen Künstlers umfasst. Neben ein paar, dem Ausstellungspublikum geschuldeten, schnulzigen Bildern mit fliegenden Paaren (Marc und Bella), Geigern (russisch/jüdische Seele), Heringen (Vater arbeitete in einer Fischfabrik), Ziegen (Sündenbock) und allerlei sonstigem Getier, bleibt die Publikation nah am Thema „Chagall und das Fenster“.
Élisabeth Pacoud-Réme schreibt in ihrem Katalogbeitrag: „Das Motiv des Fensters in Chagalls Werken wird zum unentbehrlichen Mittel seiner künstlerischen Selbstreflexion. Es dient ihm – selbstverständlich auch – als dekoratives Motiv, erleichtert ihm den Ausdruck des Fantastischen, ist an der Inszenierung des Lichts und der Darstellung seiner religiösen Gefühle beteiligt und spielt eine entscheidende Rolle in der Bekräftigung seiner Rolle als Künstler.“
Der Blick aus dem imaginären Fenster einer beengten, vom jüdischen Darstellungsverbot („Du sollst dir kein Bildnis machen“) geprägten Welt isolierte den jungen Chagall von seiner Umgebung. Zwischen seinem Wunsch nach Freiheit und seiner Gebundenheit an die russische Heimat wurde das Motiv des Fensters zum idealen Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt, zwischen Fantasie und Realität. „Es waren jedoch die Glasfenster – als Fenster, die durch das Licht, das sie verströmen, ganz unmittelbar den Dialog mit Gott eröffnen –, mit denen Chagall ganz zu einer ihm gemäßen Ausdrucksform finden sollte.“ (Pacoud-Réme)
Michael Reuter