Erzberggeist Heideggerz erscheine, Mädchenduft Saint Just erwache
Hrsg. von Robert Eikmeyer mit Texten von Jonathan Meese, Wolfgang Ullrich, Karl Gerhard Schmidt, dem Herausgeber und dem Film zum Buch mit einer Dokumentation der Performance BabyHeideggerzKnüppelausdemSackHolzvorderHütt'n auf der DVD Johathan Meese, Erznahrung, 48 Min.
Verlag für moderne Kunst Nürnberg, ohne Jahresangabe, ISBN 978-3-86984-231-8, 120 S., Hardcover gebunden, Format 23,5 x 17,4 cm, € 32,--
Leni Riefenstahl hat in ihrem Farbfotoband ‚The Last oft the Nuba' mit der Macht der Bilder gespielt. Heinrich Hoffmann in seinen Fotobänden über Adolf Hitler [‚Hitler in den Bergen' (Berlin 1935), ‚Hitler wie ihn keiner kennt' (Berlin 1932), ‚Hitler abseits vom Alltag' (Berlin 1937) und ‚Jugend um Hitler' (Berlin 1934)]. Und Digne Meller Marcovicz in ihrem Band ‚Martin Heidegger' (Stuttgart 1978) auch.
Von Leni Riefenstahl sind zwei ganzseitige Farbtafeln in den Band Jonathan Meese, Erznahrung eingegangen. Von Heinrich Hoffmann sind es zwei schwarz-weiße Hitlerporträts. Das eine stammt von Ende 1926/Anfang 1927. Es zeigt den späteren Führer in Lederhosen, weißen Kniestrümpfen, festen Halbschuhen, der Hakenkreuzbinde um den linken Oberarm und einem stechenden Blick auf den Betrachter. Das zweite zeigt ihn in Knickerbockern, Jackett, Hut und mit seinem schwarzen Schäferhund im Schnee. Digne Meller Marcovicz steuert nicht weniger als elf schwarz-weiße Porträts von Martin Heidegger in und vor seiner Todtnauberger Hütte bei. Jonathan Meese hat Martin Heidegger an seinem Todestag (26.05.2008) mit der Performance BabyHeideggerzKnüppelausdemSackHolzvorderHütt'n, Militärzelten, Pinseln, schwarzer und roter Farbe, orangefarbenen Tintenfischen, einem Skelett, Stofftieren und Wanderstöcken zum Geburtstag gratuliert. Von der Performance gehen 23 Farbaufnahmen von Jan Bauer in den Band ein. Wolfgang Ullrich setzt sich in seinem wieder abgedruckten Essay von 2003 ‚Heidegger im Bild' mit der Bilder- und Medienskepsis Heideggers auseinander. Demnach droht „jedes Medium das, was es vermittelt, einseitig zu fixieren. Zum Problem wird das aber erst durch den Anspruch auf Totalität, den ebenfalls jedes Medium für sich erhebt - und der ihm, zumindest von naiven Rezipienten, unhinterfragt zugestanden wird. Dagegen beschwört Heidegger das Unmittelbare, das sich ‚als es selbst' zeigen und nicht nur irgendwie ausgedrückt, abgebildet oder wiedergegeben werden soll. Allerdings gibt es auch Bilder, die Heidegger von dem Vorwurf ausnimmt, nur das Sichtbare - Äußerliche - ihres Sujets zu präsentieren. Es sind die Bilder der Kunst ... Die Seinserfahrung, die der Künstler macht, ermöglicht es ihm auch, seinen Werkstoff (z.B. die Farbe oder den Stein) nicht nur als Medium zu verwenden; vielmehr verwandelt dieser sich in einen Ort, der dem Betrachter seinerseits einen besonderen Einblick, einen unalltäglichen Zugang zur jeweiligen Sache beschert. Je weniger ein Bild nur etwas - bereits Bekanntes - abbildet und je mehr es sogar den Charakter eines Ausnahmezustands besitzt, desto eher trifft es etwas Wesentliches. Für Heidegger sind daher - paradox formuliert - die besten Bilder selbst bildlos, insofern sie nicht bloß Sichtbares festhalten, sondern tatsächlich eine Totalität erfahrbar machen, die keinem bestimmten Typ von Sinneswahrnehmung - also etwa dem Sehvermögen - mehr zugeordnet werden kann" (Wolfgang Ullrich). Ullrichs Essay schließt mit dem Hinweis, dass in der Geschichte der Bilder die Macht der Bilder oft dadurch gebrochen werden sollte, dass man den Porträts die Augen ausgestochen hat. Jonathan Meese wählt einen anderen Weg. Nach seiner Vorstellung verlieren die Bilder ihre Macht, wenn sie im Reich der Kunst verbleiben. Wenn man Robert Elkmeyer folgt, gehört auch Martin Heideggers ‚Sein und Zeit' in das Reich der Bilder und damit in das Reich der Kunst. „‚Sein und Zeit', das Buch von einem der ‚geilsten Typen', ungelesen im Regal neben Büchern von Adolf Hitler, Marquis de Sade oder Tove Jansson stehen zu haben, ist völlig befriedigend für Jonathan Meese. Warum soll man auch diese Werke immer wieder aussaugen oder auf sie abspritzen? Schreiben oder Bilder zu produzieren ist rattenscharf, wie pinkeln, aber danach darf man diese Endprodukte nicht für irgendwelche Zwecke instrumentalisieren, man kann mit ihnen spielen und, vor allem, sie untereinander spielen lassen... Was soll schon passieren, wenn das ‚Gute' und das ‚Böse' im Sandkasten der Kunst aufeinandertreffen? Sind doch nur Spielzeug einer höheren Macht, die Kunst heißt. Dieses Spielen der ‚Bilder' ist die hermetische Revolution, für die Jonathan Meese ... nur ein Sprachrohr darstellt. Ein Spiel, das nach und nach die Realität verdrängen wird, bis schließlich nur noch die ‚Diktatur der Kunst' herrscht" (Robert Eikmeyer). In ‚Erznahrung' lädt Jonathan Meese zu einem neuen Spiel ein. Seine bisherigen Manifeste hat er in aller Regel eigenhändig geschrieben und als Faximiles in seinen Büchern abgedruckt. Sein ‚Geburtstagsmanifest' für das ‚Spielkind Heidegger' vom 26.05.2008 stattet er mit Bildern aus. Das Manifest ist zum Wort-Bild-Hybrid geworden. Auch dieser Hybrid entfaltet seine Macht. Es fällt schwer, sich der Macht der inszenierten Fotografien zu entziehen. Deshalb liest man die Texte von den Bildern her und umgekehrt. Geht es Meese vielleicht doch um mehr als um die Macht der Kunst?
(ham)