Manfred Lang (Hrsg.)
Beiträge zur Theologie, Christlichen Archäologie und Kirchlichen Kunst
Zum Gedenken an Andrea Zimmermann
Theologie - Kultur - Hermeneutik Band 13
Hrsg. von Stefan Beyerle, Matthias Petzoldt und Michael Roth
Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2011, ISBN 978-3-374-02870-2, 245 S., zahlreiche s/w-Abbildungen, Broschur, Format 23 x 15,5 cm, € 38,--
Der Sammelband vereint 12 Beiträge zur Theologie, Christlichen Archäologie und Kirchlichen Kunst und die Beerdigungspredigt für Dr. Andrea Zimmermann. Andrea Zimmermann (1965 - 2010) war Leiterin der Abteilung „Christliche Archäologie und Kirchliche Kunst" an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Unter den Beiträgern setzen sich Aicke Bittner und Johannes Thon mit der gekrönten männlichen Schlange aus der Paradiesgruppe des Halberstädter Doms von 1470 auseinander und bringen sie mit den karnevalesken mittelalterlichen örtlichen Spieltraditionen in Verbindung. In diesen Traditionen kam es zu punktuellen Umwertungen von Gut und Böse und zur Darstellung der Zweischneidigkeit irdischer Macht. Michael Labahn diskutiert die Darstellungen der apokalyptischen Reiter aus Offb. 6 bei Frans Masereel und Basil Wolverton als illusionslose, von den Ereignissen der Kriege des 20. Jahrhunderts geprägte Bildwelten. „Der Humanist und Pazifist Masereel hält der Welt in Rückverweis auf Offb. 6 einen Spiegel des Schreckens vor... Bei Wolverton liegt die Vermutung nahe, dass seine Darstellung des Schreckens, die auf buchstäblichem Verständnis des biblischen Textes aufruht, eine warnende Pragmatik im Sinne einer religiösen Umkehrforderung hin zu einem Kreis Auserwählter hat" (Michael Labahn). Dem gegenüber macht sich der Autor zum Anwalt des Johanneischen Ausgangsbilds. „Aufgabe der Exegese ist es, den Urimpuls, hier die rhetorische Strategie der Johannesoffenbarung in ihrem traditionsgeschichtlichen Ursprung, ihren religiösen, sozialen und antik-politischen Zusammenhängen wie auch ihrer Rhetorik und Pragmatik zu erklären. Die Rezeption klärt über Verstehens- und Missverstehenspotentiale auf, kann Sinnpotentiale vergrößern oder verringern, gehört aber in einen reflektierten Dialog, mit der den Urimpuls vertretenden Auslegung. So lädt die Gedächtnisgeschichte einschließlich ihrer Verselbständigung zur Relektüre des wirkenden Textes mit einem Überschuss an Wissen ein, welche Wirkungen der Text hat." (Michael Labahn). Für Christian Senkel schließlich hält die Topik ein unverdächtiges Theoriegestell auf dem Weg zu einer theologischen Ästhetik bereit. „Sie ist das elementare Allgemeine: unterhalb von Idealismus und Materialismus, Diskurstheorie und Rezeptionsgeschichte geschichtet. Anhand der Topik kann man große Theoriefragen miniaturisieren, um sie lebensweltdienlich zu machen" (Christian Senkel). Sie hilft, die gewachsenen Schichten im Verhältnis von Christentum und Kunst abzutragen. „Die erste Aufgabe, hinsichtlich der Topik, ist leicht zu fassen. Sie erfordert humanistische Gelehrsamkeit, die in Zuarbeit weich übergeht... Hamann hat einmal, mit Blick auf die Fragmente des ‚liber naturae', vom Sammeln, Auslegen und In-Geschick-Bringen als korrespondierenden Aufgaben gesprochen. Entkontextualisiert man Hamanns Entwurf einer Wissensordnung, so kann man seine Aufgabenstellung auf das zerblätterte Buch der Kulturgeschichte beziehen... Eine theologische Ästhetik hätte daher viel mit den Übernahmen, Brechungen, Veränderungen, Exklusionen und Triumphen in den Ordnungen und Neuordnungen der Künste zu tun. Sie müsste sie sammeln. Um sie auszulegen wäre die im weiten Sinn genommene, andere Kunstarten umfassende Poetologie angemessen. Sie bringt die Konturen der christlich-künstlerischen Diversifikation zum Vorschein. Theologie braucht man für all dies zwar wegen ihrer Kenntnisse des in der Kunstpraxis manifestierten Materials. Doch hat ihre Arbeit am Topos eine über das Kommentieren hinaus reichende Dimension: Die Dimension der Zuarbeit in eine künstlerisch-christliche Praxis der Diversifikation hinein. Die zweite Aufgabe ... ist vielstellig..., eigentlich ist es die Aufgabe der Meditation. Sie ist wohl kaum von der akademischen Theologie allein wahrzunehmen. Die theologische Ästhetik darf sich hier nicht versteigen. Sie vermag jedoch mit lebensdienlichen Differenzierungen zu dienen... Daher ist es im Sinne der Diversifikation, Funktionalität als Freiheitsspielraum zu verstehen und für ihn zu sorgen. Mediationen wären dann vor allem für eine Ausdehnung von Phantasie und Glaube zuständig, die den künstlerischen Prozess mit Rezeptionschancen öffentlich verknüpft, so dass es zu einer Rezeption der Produktion und nicht erst des Werks kommt. Damit ist der Fluchtpunkt für ein förderliches Verständnis von Funktionalität angegeben. Den Fluchtpunkt in theologische Terminologie zu fassen, ist der letzten Aufgabenbeschreibung vorbehalten" (Christian Senkel). Senkel greift für diese Aufgabenbeschreibung auf die theologisch-philosophischen Begriffe Inkarnation und Überschreitung zurück und erklärt sie als theoretisch entscheidend: „Anderes als solche Geleitbegriffe kann es in einem laufenden Diversifikationsgeschehen nicht geben. Die Individualitätszuschreibung der Inkarnation und die im künstlerischen Überschreitungsprozess finden weder mit der Zwangsläufigkeit einer realisierten Idee zusammen noch treten sie zwangsläufig in einem theologischen Freiheitsfortschritt auseinander. Sie können zusammenfinden und sie können auseinander treten... Das Begriffskonzept der menschlichen Gottebenbildlichkeit eignet sich ... als Topos, an den man Inkarnation und Überschreitung locken kann. Die Individualitätszuschreibung der Inkarnation hat den Sinn, menschliche Individualität in Erscheinung treten zu lassen. Einer Kunst der Heiligung ausgesetzt, erfährt sich die Materialität des menschlichen Lebens als göttliches Kunstwerk. Die zersprengende Diversifikation menschlicher Individualität erhält vom Imago-Gedanken hingegen inneren Zusammenhang. Da die Ebenbildlichkeit Bildhaftigkeit und zugleich deren Erschütterung bedeutet, kommt sie weder nur in einem Begriff von Identität zur Ruhe noch lässt sie einzig als Spur sich fassen. Ebenbildlichkeit meint das menschliche Anderssein diesseits von Identität und Differenz, von aller Wesensbegrifflichkeit.... Kunst, die sich auf die inkarnatorische Überschreitung bezieht, kann uns im Anderssein zum Vorschein kommen lassen und Angstverzicht einüben" (Christian Senkel).
(ham)