Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 08.06. - 04.09.2011 in der Schirm Kunsthalle Frankfurt
Hrsg. von Max Hollein mit Texten untere anderem von Derek Walcott, Allen Ginsberg, Peter Handke und einem Gespräch zwischen Pamela Kort und Francesco Clemente
Schirn Kunsthalle Frankfurt/Verlag für moderne Kunst Nürnberg, 2011, ISBN 978-3-86984-225-7, 160 S., zahlreiche Farbabbildungen, Hardcover gebunden, Format 26,6 x 24,8 cm, € 24,80 (Museumsausgabe)/29,-- (Buchhandelsausgabe)
Der 1952 in Neapel geborene Francesco Clemente hat nach dem Studium der Architektur in Rom, Reisen nach Indien und Afghanistan seit den ersten 1980er-Jahren ein Atelier in New York unterhalten. 1984 hat er in Madras/Indien gelebt. Heute sucht er von New York aus immer wieder Indien und Italien auf. Seine Pastelle wurden 1984 in einer großen Übersichtsaustellung unter anderem in der Nationalgalerie Berlin gezeigt, seine Aquarelle 1987 unter anderem im Museum für Gegenwartskunst in Basel. Zeitweilig wurde er mit Sandro Chia und Enzo Cucchi der italienischen Transavantgardia zugerechnet. Robert Rosenblum hat ihn dagegen schon 1982 in seinem Beitrag für die Zeitgeist-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in Berlin im Kontext von Marc Chagall gesehen. Derek Walcott greift in seinem Beitrag für die Frankfurter Ausstellung auf diese Zuordnung zurück: „Malerei kann Gleichnisse reproduzieren... wie bei Chagall, dem Maler, an den Clemente am stärksten denken lässt; ... All die Objekte bei Chagall haben noch immer einen Namen, genauso wie bei Clemente, aber der Vergleich dieser Gemälde mit Gedichten stellt eine Grenze dar.... Bei Chagall sind Kühe, Geiger und explodierende Blumensträuße Symbole der Orthodoxie. Clemente ist weltlich, aber kein Ketzer; seine Orthodoxie ist die Kunst... Seine franziskanische Liebe zu allen Dingen spricht Clementes Serie (‚Eine Geschichte des Herzens in drei Regenbogen') heilig" (Derek Walcott). Max Hollein spricht bei der schon von ihrer Größe von 3 x 18 m her erstaunlichen Aquarellserie nicht von Heiligkeit, sondern von Metaphern für geistige und kreative Prozesse und einem weiten „Panorama kollektiven und individuellen Gedächtnisses". Clemente schöpft in dieser für die Frankfurter Ausstellung zentralen Serie „aus einer Vielzahl von zeitlosen Symbolen, Mythen, Kulturen und Philosophien. Er legt selbst Spuren, ebenso wie er wiederum Spuren freilegt. Er überlagert und fragmentiert, um Neues zu schaffen, lässt verschwinden um anderes hervorzuheben" (Max Hollein). Die Aquarellserie wird zum Palimpsest. „Das Palimpsest im Zusammenhang mit archäologischer Schichtung ist eine wunderbare Metapher dafür, wie ich mit Ikonografie arbeite - ständig mit Verweisen auf traditionelle Bilder, das heißt Bilder, welche die Kraft haben oder traditionell hatten, zu heilen, die Kraft, Menschen mit sich selbst und mit anderen in Einklang zu bringen, jedoch ohne diesen Kontext. Ich bin kein Mystiker, ich bin kein Betrachter im kontemplativen Sinn. Ich bin ein zeitgenössischer Künstler, also verwende ich traditionelles Material und schreibe es für das Publikum um.... Ich biete niemals einen endgültigen Text ... ein endgültiges Drehbuch ... Es ist wirklich eine Schichtung: enthüllen, verhüllen, sagen, ungesagt machen. Ich glaube, das Schlüsselwort lautet hier ‚Verschiebung': Es ist sehr wichtig, seine eigene Sichtweise und auch die des Betrachters ständig zu verschieben und so deutlich zu machen, dass es sich nicht um Religion handelt. Es sind nur Artefakte, die im Zusammenhang stehen mit unseren Erfahrungen der heutigen Welt... - nicht mehr und nicht weniger...". Trungpa, der Vajrayana-Lehrer von Allen Ginsberg, hatte eine wunderbare Definition unserer Erfahrungen mit dem Selbst und mit dem Anderen, die er als Erfahrung der ‚Kontinuität der Diskontinuität ‚ bezeichnete. Mein Ziel ist es, dass sowohl mein Leben als auch meine Arbeit Ausdruck der Akzeptanz der Kontinuität von Diskontinuität sein können und eine Manifestation von Freiheit" (Francesco Clemente).
Neben der Serie ‚Eine Geschichte des Herzens...' wird eine etwa 16 Meter lange und fast vier Meter hohe Fototapete gezeigt, die aus einer Reihe von Fotografien von Clementes New Yorker Studioumgebung entstanden ist. „Das Ergebnis ist ein Novum innerhalb seines Werkes: eine gigantische Rolle aus weichkantigen Bildern... Geschaffen in der Absicht, einen Eindruck in die Atmosphäre zu vermitteln, die Clemente braucht, um Kunst zu schaffen, legen diese Bilder auch Zeugnis ab von der Vielfalt der Kulturen, Artefakte und Freundschaften, die den Kern seines Werkes bilden. Ähnlich wie die transformativen Formen, die seine monumentalen Aquarelle ... bevölkern, scheinen die Konturen der Objekte, die das Auge von Clementes Kamera einfängt, ineinander überzugleiten. Dadurch evozieren sie eine Qualität des Fließens, die für seine Kunst charakteristisch ist.... Letztendlich fungiert diese einfallsreiche Tapete auch als ein Fragezeichen, das den Betrachter auffordert zu beachten, dass die Bestandteile, die bei einem Kunstwerk ins Spiel kommen, vielfältig sind" (Pamela Kort). Schließlich werden auch noch Porträts unter anderem von Allen Ginsberg, Fran Leibowitz, Selbstporträts und seine ‚Geschichte meines Landes' von 1990 gezeigt.
(ham)