Über Gott und die Menschen
Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 02.10.2010 - 05.06.2011 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden
Hrsg. von Petra Lutz und Klaus Vogel mit Texten unter anderem von Günther Kehrer, Fulbert Steffensky, Hilal Sezgin und Alfred Bodenheimer, Interviews und Bildessays unter anderem zu Prozessionen, Atheistischen Kampagnen, Protesten und Sakralen Gebäuden in den Religionen
Stiftung Deutsches Hygiene-Museum Dresden/Wallstein Verlag, Göttingen, 2010, ISBN 978-3-8353-0764-3, 208 S., zahlreiche s/w- und Farbabbildungen, Broschur, Format 27 x 18,5 cm, € 24,90
Mit der klug und überlegt inszenierten Ausstellung ‚Kraftwerk Religion' ist am 5. Juni 2011 in Dresden auch der 33. Deutsche Evangelische Kirchentag mit seinen bis zu 150.000 Besuchern zu Ende gegangen. Ein Drittel der Besucher soll aus den östlichen Bundesländern gewesen sein. Das ist für die wohl mit am stärksten säkularisierte Region Deutschlands nicht selbstverständlich. Vor der Wende galt es in der DDR als ausgemacht, dass Religion als Opium des Volkes aussterben wird. Analog zum Lenin-Kult im nachrevolutionären Russland konstruierte Ersatzrituale wie die Jugendweihe und die Jahresschlusskalender sollten mögliche Phantomschmerzen lindern und die sozialistische Gesellschaft auf den Schild heben helfen. Dass Kremlführer nach 1989 wieder orthodoxe Gottesdienste aufgesucht, Polen auch über die Zeit des Kommunismus hinweg fromm geblieben ist und die Protestanten entscheidende Anstöße zur Wende in der DDR gegeben haben, zeigt aber, dass die Vorstellung vom selbstverständlichen Absterben der Religionen allenfalls auf Teilbereiche Europas zutrifft. Deshalb war es weitsichtig, die Ausstellung auf gegenwärtige Erscheinungsformen von Religion in der globalisierten Moderne zu beschränken. In der Konsequenz darf man von ihr keine dogmatisch verbindliche Antworten auf die Frage erwarten, was Religion sei. In der Beschränkung erweist sich der Meister: „Nun sag, wie hast Du es mit der Religion?". Für die Ordnung der rund 300 Exponate und ihre Erzählung haben sich die Kuratoren die Anforderungen zu eigen gemacht, „die Clifford Geertz für seine Feldforschung in Sachen Religion formuliert hat...: ‚Eines der hauptsächlichsten methodologischen Probleme bei der wissenschaftlichen Beschreibung von Religion besteht darin, sowohl die Haltung des Dorfatheisten wie auch die des Dorfpredigers ... abzulegen, damit die sozialen und psychologischen Implikationen der jeweiligen religiösen Glaubensanschauungen in klarem und neutralem Licht erscheinen können. Sobald dies einmal erreicht ist, verschwinden globale Fragestellungen - ob Religion ‚gut' oder ‚schlecht', ‚funktional' oder ‚disfunktional', ‚persönlichkeitsstärkend' oder ‚angsterzeugend' sei - wie Phantome, und übrig bleiben nur die einzelnen Bewertungen, Einschätzungen und Diagnosen einzelner Fälle'" (Petra Lutz/Clifford Geerts). Daraus ergaben sich die drei Abteilungen „Religionen in der Gesellschaft", „Religiöse Gemeinschaften" und „Offenbarungen und letzte Fragen". Die erste Abteilung fragt nach den gesellschaftlichen Interaktionen und Bezügen, die den Raum der Religionen und damit diese selbst formen. In der zweiten danach, wie das ‚wir' religiöser Gemeinschaften konstruiert wird. Die dritte Abteilung „geht verschiedenen Methoden nach", wie Transzendenzbezüge hergestellt, mit Kontingenzerfahrungen umgegangen und wie außeralltägliche Erfahrungen kommuniziert werden.
Sehr gerne hätte man in dem Begleitbuch zur Ausstellung unter anderem das Anfang der 1980er Jahre entstandene Gemälde des russischen Künstlers Wagritsch Bachtschanjan abgebildet gesehen, das sich ironisch mit dem postrevolutionären Leninkult in den 1920er Jahren auseinandersetzt: „Ein Medaillon mit der Profilansicht des Revolutionärs krönt die traditionelle Darstellung eines Gekreuzigten. Somit erfüllt das Bild den ‚Straftatbestand' (Jörg Restorff in: Kunstzeitung 176, April 2011, S. 12) der Blasphemie, wegen dem im vergangenen Jahr zwei russische Kuratoren vor ein Moskauer Gericht gezerrt worden sind. Aber das Begleitbuch zur Ausstellung beschreitet einen Sonderweg: Es erzählt ausschließlich aus der schon angedeuteten Perspektive von Gläubigen und Nichtgläubigen: „Atheisten werden nach ihrem Atheismus befragt, Buddhisten nach ihrem Buddhismus, Christen nach ihrem Christentum und so weiter. Denn Religion ist am Ende immer das, was gelebt wird" (Gisela Staupe, Klaus Vogel). Die Bildessays, Interviews und die einfühlsamen einführenden Essays unter anderem zum Atheismus (Günther Kehrer) und zum Christentum (Fulbert Steffensky) bieten für die skizzierte eingeschränkte Fragestellung mehr als genug Material.
(ham)