Studien zur Kontinuität des Messianismus in der polnischen Ikonographie des 20. Jh. Diplomarbeit. Universität Hildesheim 2008.
Ausnahmsweise sei auf eine (noch?) nicht veröffentlichte, farbfotografisch gut bebilderte Diplomarbeit verwiesen. Am Institut für Bildende Kunst und Kunstwissenschaft wurde sie in Betreuung durch Prof. Dr. Josef Nolte erarbeitet, der an dieser jungen Universität den ersten kulturpädagogischen Studiengang in Deutschland entwickelt hat. Diese Studie dürfte zum Verständnis helfen sowohl des heutigen Selbstverständnisses Polens (dem seine Geschichte immer präsent blieb) wie der zeitgenössischen polnischen Kunst (in der sie ebenfalls präsent blieb). Es sei daran erinnert, daß Artheon vor einigen Jahren Symposion in Breslau/Wrocl´aw durchgeführt hatte, bei dem mit zeitgenössischen Künstlern Atelierbesuche und mit dem Redakteur der wichtigen Kunstzeitschrift fo´rmat Gespräche geführt werden konnten. Am Rande konnte unser Vorstandsmitglied Markus Nitschke eine Architekurausstellung (zeitgenössischer europäischer Kirchenbau) dort vereinbaren, die bald darauf realisiert werden konnte. Zuvor schon konnte der Berliner kunstdienst dort vor der Elisabethkirche nahe dem Ring/Rynek die 225 cm hohe Bronze-Skulptur „für Dietrich Bonhoeffer" von Karl Biedermann errichten - Pendant zur Berliner Statue an der Zionskirche, in seiner Geburtsstadt, die ihn heute ebenfalls ehrt: die Bevölkerung legt Blumen zu Füssen des Märtyrersinnbilds nieder.
„Ecce Polska" geht in drei Schritten vor: Zunächst wird Bildmaterial gezeigt an vier exemplarischen Künstlern für die „Polnische Passion im 20. Jh.". Der Maler „Malczewski und das junge Polen" sagt: „Ich wäre kein Maler, wenn ich kein Pole wäre": er war Schüler von Jan Matejka, der die polnische Tragödie der staatenlosen Zeit in Historienmalerei zur Schau stellte. Von dieser Schule wurde die Wiedergeburt Polens erhofft und beschworen, wie es Harry Sinkiewicz bei der Verleihung des Nobelpreises 1905 ausdrückte: „Man hat sie [die Polska] totgesagt, aber diese ist einer von tausenden Beweisen, daß sie lebt!" Die Titel wie „Melancholia" ((1890-94), „Hamlete Polski" (1903) und dann schon im 1. Weltkrieg die die Wiedergeburt anscheinend schon weissagende „Pythia" (1917) und schließlich „Die freie Polonia" (1918) sind hinreichend vielsagend. Für die Zwischenkriegszeit steht der Maler-Fotograf und Philosoph Stanisl´aw Ignacy Witkiewicz (Witkacy) mit einer „Ästhetik der reinen Form" der auch Architekturen (ein Ministerium, den Weltausstellungspavillon in Paris) gestaltete. Seine Konzeption ist niedergelegt in „Die neuen Formen in der Malerei und die daher rührenden Mißverständnisse" mit der Forderung einer „radikal antimimetischen Ästhetik" (S. 18), wennb auch nicht frei von erfahrungsbedingtem Kulturpessimismus. Für die Traumata der Kriegszeit (der Verrat des Westens wie der Sowjetunion - zuletzt an der Heimatarmee 1944) und der ersten Nachkriegszeit steht Andrzej Wro´blowski: sein „unmittelbarer Realismus" war stets ein selbstkritischer: „schonungslose Innenansichten" und „Bilder, die bitter sind wie Leichengeruch" (S. 24). „Die Soldaten bezeugen mit ihrem Tod die Existenz Polens" war für Viele der Sinn der polnischen Gefallenen vor Monte Cassino (S. 28). Es folgen die großartigen Regisseure von Installationen, welche die NS- wie auch SU-Gewalt dokumentieren: Jo´zef Szajna, oder des „Theaters des Todes": Tadeusz Kantor. Einen staatlichen Rahmen der Kunst gab es zwei Jahrhunderte (außer in der Zwischenkriegszeit) bis 1989 nicht, so daß der Kunst die Aufgabe wie die Last der „Delegitimierung der Fremdherrschaft" zufiel (35).
Der zweiteTeil, der hier nur angedeutet werden kann, dient der „romantischen Programmatik und dem alttestamentlichen Rekurs" des „polnischen Messianismus": seiner literarisch-theologischen aber auch seiner kommunikationstheoretischen Analyse, welche erst seine große Beständigkeit erklärt. Dabei wird zwischen „symbolisch-generalisierter" und „rational-argumentativer" Kommunikation unterschieden, wobei erstere die „erfolgreiche Abnahme von Kommunikation wahrscheinlicher" macht (S. 38). Dabei spielt der Nationaldichter Mickiewicz eine große Rolle mit seiner „Parallelisierung von Christus und Polonitas" (S. 42), wobei er positive Bezüge zum jüdischen Messianismus im Lande herstellt (erst im 20. Jh. entsteht unglücklicherweise hier eine bittere Konkurrenz, stellt die Autorin fest). Dieser Teil stellt den „Messianismus als ‚Code' der Polonitas" dar.
Der dritte Teil erläutert dann das „polnische Nationenbild", das der Legitimierung der Nation dient. Dies geschieht im Signum des Märtyrers. Bei Witkacy, bei Wro´blewski und bei dem seit 1968 immer neu Aufsehen erregenden Performance-Künstler Beres´ wird die Frage der Identität des Passionskörpers mit unterschiedlichen künstlerischen Strategien beantwortet - gemeinsam ist ihnen, daß „die polnischen Künstler vom individuellen zum nationalen Schicksal abstrahieren": „Ecce Polska" (80). In Hinsicht auf ihre messianische „Ikonik" (nach Max Imdahl) beziehen ihre Bilder dann die Sozialität ein: der prophetische Künstler ist Zeuge, aber auch das Bild ist es und - das vom Bild ergriffene Publikum selbst. So kommt die Autorin zum Schluß, daß alle drei „politische Funktion" haben für die „evidente Existenz der polnischen Nation" (S. 103). „Ihre [der Bilder] Leistung besteht darin, daß sie bei relativer ästhetischer Autonomie politische Interessen der Polonitas symbolisch generalisiert kommunizieren" S. 105). Gerade so aber und in immer neuer Widerständigkeit gegen fremde Macht war diese Kunst Überlebenshilfe der Nation.
(Manfred Richter)