kt. 96 S. mit zahlr. Farbabb. Edition St. Matthäus Berlin 2009, € 24,00
Der erste Katalog eines jungen Künstlers (geb. 1971), gesponsert von einem Ehepaar, das sich angesprochen fand durch die Arbeiten in der weiträumigen Höger-Kirche am Hohenzollernplatz. Auch diese - in sich schon künstlerisch reich instrumentiert - ein Spiel-Platz der Stiftung St. Matthäus unter der Leitung von Christhard Georg Neubert. Das jüngste und derzeitige Ereignis dort sind die der Körper-Seele-Osmose gewidmeten fein-groben Arbeiten von Sabine Hoffmann, Stuttgart - Arbeiten in Textil, die sich gegen den Putz der Wand und den Stein der Architektur abheben. Auch sie ist Danzigerin wie Gabriela Nasfeter, die in Ulm und Berlin (da im Dom, an der Mauergedenkstätte, in St. Matthäus) wie auch anderswo Furore machte, sie mit majestätischen Dimensionen. Für beide Arten der Textilkunst gibt es in Polen eine große Tradition.
Und während in St. Matthäus, der Stiftungs-Kulturkirche der Landeskirche am Kulturforum, befreit von üblichen parochialen Zwängen, sich mehrfach im Jahr eine erstaunliche Abfolge von Vernissagen bereits arrivierter wie gerade erst sichtbar gewordener KünstlerInnen ereignet, oft noch verbunden mit einem eigens dafür geschaffenen Werk der Reihe „Das Andere Altarbild" - ist die Kirche am Hohenzollernplatz eine reguläre Gemeindekirche: Sehschule für jedermann unter den Kirchen- und Gottesdienstbesuchern. Hier pflegt man längerfristige „Sommer-Ausstellungen zu veranstalten, verbunden, gewiß, mit hochrangiger musikalischer Darbietung. Und übrigens, ein Erbe eines Kunstbeauftragen -Vorgängers, Bringfried Naumann, fortführend, auch mit der Pflege des Worts: „Mein Psalm". Jährlich einmal ist ein/e AutorIn eingeladen, einen solchen als den eigenen in neuer Sprache anzusagen. Inmitten der Ausstellung Sabine Hoffmann also dieses Jahr Anja Utler (zu Psalm 19). Bereits Tradition ist es, von Wolfgang Huber an Markus Dröge weitergegeben, daß hierbei der Bischof das Wort der Predigt pflegt: eine Hör-Schule also inmitten der Seh-Schule.
In dieser Kirche leitete Thomas Werks Werk zum Sehen an. Entlang der langgezogenen Nischen der beiden Seitengänge des Schiffs waren die Miniaturen, je zu dreien gruppiert, zu „lesen". Papierarbeiten. Papier? Darauf schreibt man gewöhnlich. Mit Schriftformen hat in der Tat dieses Werk zu tun. Zeichen auf oft beigem oder sandfarbenem Grund, angesiedelt zwischen erster Vor-Zeichnung, nur die Fläche markierend, geometrischen Einfach- Formen, Lettern, Kürzeln. Bleistift, Kohle, Pinsel-Strich, Tusche. Wo Farbe kommt, ist sie zumeist fonciert, grau, braun, schwarz kann es sein. Alles knapp gehalten - viel Platz zum mit-denkenden Nach-Sehen. Gleichsam Ur-Zeichen. Orphisch?
Es erscheint mir wie eine Studie, eine Elementarschrift zu entwickeln, Für eine Elementarsprache. Die weniger schreiben und mehr sagen möchte mit wenig(er). Nicht zu unrecht erinnert Bernhard Lindemann, Direktor der Berliner Gemäldegalerie, an asiatische Traditionen der Schriftkunst und der Kunstschrift. Papier, Wasser, „"Falu Rödfärg" (ein rostbrauner Ton) neben Schwarz. Und manchmal minimale Notizen, die man auf den Blättern entdecken kann, die etwas in Richtung auf ein Thema ganz klein andeuten. „Karge Ästhetik". Diese Bilder „fasten", sagte Christiane Götz.
Verführerisch freilich sind dann die Titel, die durchgängig in dieser Ausstellung biblische Bezüge herstellten. Man muß mit ihnen richtig umgehen, damit sie sich dem Betrachter nicht aufnötigen. Und die Betrachtung engführen. Vorschlag: Man nehme zur Kenntnis, daß der Künstler durch das genannte Motiv angeregt ist. Man nehme sich zugleich die Freiheit, sie mehr oder weniger stimmig zu finden - oder die Ausführung. Man kann es ja für sich selber durchspielen. Ins Prokrustebett der Titel-Vor-Schrift gezwängt, mag man zuweilen den Kopf schütteln, unwillig der Weisung zu folgen. „Das soll das sein? Den Titel hätte er sich sparen können". Doch schon hätte man sich in der Mimetikfalle gefangen. Ich verstehe den Künstler so, da er assoziierend, wie ein Kind mit Kegeln spielt, die Grundformen arbeiten, die Zeichen eine Geschichte erzählen, die Gestik eine Szene entwickeln lässt. Spielen wir, assoziieren wir mit - wohin dann auch immer entführt. Vielleicht hat ja auch das berühmte „o. T.", das so viel Seriosität in Anspruch nimmt, irgendwann seine Strahlkraft verloren. Wer will es einem Künstler verwehren, uns eine Richtung seiner eigenen Assoziation zu nennen? Wäre es nicht gerade die Bibel, hätten wir wohl kaum ein Problem damit. Elementarisierung gerade hier, als wäre es für eine Kinderbibel: why not? Die Erwachsenen mögen sich dann an den Augenblick, an den schon wartenden neuen Gestus halten: den sie selber erbringen sollen. Die Kinder tun es ohnehin.
Diese könnten auch prima spielen, wenn die Prototypen für die gemeinten stählernen Groß-Skulpturen im Außenraum - in der Kirche stehen sie in der hohen Halle des Vorraums - noch kleiner vorhanden wären. Auch das eine Anregung für den Künstler? Und für die Gemeinde: die Seh-Schule als Spiel-Schule.
(Manfred Richter)