Lenssen, Jürgen - Walter Zahner (Hg.): Friedrich Press. 329 S. 313 Farbabb. 115 s/w-Abb., Softcover, Klappenbroschur Schnell [&] Steiner: Regensburg 2010. ISBN 978-3-7954-1558-7. € 34,90 /SFr 56,90.
Dieser Begleitband zur Ausstellung 'Friedrich Press - „herausgeschält", die im Museum am Würzburger Dom, bekannt für nicht nur museale Kunstereignisse, im vergangenen Jahr zu sehen war, ist weit mehr als dies. Er ist eine umfassende Dokumentation des Lebenswerks von Friedrich Press, „einer der bedeutendsten deutschen Bildhauer des 20. Jh., der christliche Themen zum Schwerpunkt seines Schaffens machte", wie es zurecht in der Presseinformation des Verlags heißt. Der Band enthält biographische Notizen (1904-1990) von Christoph Deuter, Literaturangaben und ein Ortsregister der Standorte seiner Werke, sowie weitere Beiträge. Das sind neben denen der Herausgeber und dem eigentlichen Begleitteil zur Wüzburger Ausstellung „herausgeschält" den von Gerlinde Schwebel, die die abenteuerlichen Erfahrungen bei der Grenzüberführung der Holzarbeit „Abendmahl" zur gleichnamigen Dokumenta-Begleitausstellung des Marburger Instituts für Kirchenbau und Kirchliche Kunst 1983 schildert, eine Übersicht über freie Arbeiten und zu den Zeichnungen von Wolfgang Schneider sowie, besonders dankenswert, einen ausführlichen „Katalog der Kirchenprojekte" (S. 202-309).
Diese sind überwiegend in katholischen, doch zunehmend auch in evangelischen Kirchen realisiert worden. Friedrich Press war in allen kirchlichen Bau- und Kunstfragen ein Name ersten Ranges. Dabei hatte er sich von der Stilistik seiner früheren figürlichen Gestaltungen immer weiter entfernt und war zu einer geradezu provokativ reduzierten Abstraktion vorgedrungen, die sein unverkennbares Markenzeichen wurde. Sie war gleich weit entfernt von jeglicher Art „sozialistischen" Realismus, selbst in ihrer sozialkritischen Variante, wie andererseits von aller Art kirchlicher Darstellungstraditionen beider Konfessionen. Den Eintritt in den staatlich gelenkten Berufsverband der bildenden Künstler hat er lebenslang abgelehnt - bewusst in Kauf nehmend, daß ihm so öffentliche Ausstellungsmöglichkeiten nicht offenstanden. Sein Schwerpunkt wurde fast ausschließlich die Arbeit für die Kirchen - und war doch stets neu eine Herausforderung für die kirchlichen Auftraggeber und den Geschmack der Gemeinde. Beide warnte er im Voraus: „Erwarten Sie nicht plastische Illustrationen zur Bibel" (die er im Dresdener Atelier immer bei sich hatte). „Es gefällt mir oder es gefällt mir nicht, ist leicht gesagt, dabei geht es in der Kunst gar nicht um Gefallen. ... Kunstwerke müssen von innen nach außen gestaltet werden" (S. 312f.). Das war eine harte Zumutung für die Gemeinden, die in ihrer staatlichen Bedrängnis vielleicht eher Lieblicheres, zumindest Vertrauteres gesehen hätten. Das war hier nicht zu haben. Vielmehr völlige Konzentration auf die Sache in der zum Äußersten getriebenen Reduktion der Form und des Materials. Das schloß nicht hintergründigen Humor aus - haarscharf neben unabweisbarem Ernst der Aussage. Hier darf, meine ich, angemerkt werden, daß es nicht zuletzt die kirchlichen Kunstdienste waren, von Erfurt und Jena über Dresden bis Berlin und Rostock, die in den Gemeinden für solche Kunstauffassung Verständnis weckten. Spürte man dem Katalog der Kirchengestaltungen in einer Besichtigungsfahrt nach, hätte man fast die ganze einstige DDR samt etlichen westdeutschen Orten zu durchqueren.
Der Band geht den Entwicklungen des Künstlers bis ins hohe Alter nach. Er war Zeuge der Wechselfälle des Jahrhunderts von den frühen expressionistischen Arbeiten an, als er Barlach nahestand und Käte Kollwitz auf ihn aufmerksam machte. Doch schon nahte 1933 das erste Ausstellungsverbot. Nach und nach entwickelte er seinen minimalistischen Stil mit dem bevorzugten Material Holz. Arte povera im Materialsinn wie in der Formenzurücknahme. Hier hat er „herausgeschält", noch und noch, bis Engel und Mensch, Christus und Maria daraus zu sprechen begannen. Sprechend mussten schon die geringsten Aussparungen und Hervorhebungen sein - und sie waren es. Sprechend waren die angedeuteten Bewegungsverläufe, die raumgreifenden Installationen, die knappen Farbaufträge, die erstaunliche Variationsbreite minimaler Gestik im Holz, die monumentale Statik. Jenes „Abendmahl", in dem der Grenzoffizier nur Zaunlatten sah, die seine DDR gerne laufen lassen konnte (warum eigentlich dann doch eine so hohe Versicherungssumme in DM?), kennt nur die Nebeneinanderordnung der Zwölf, brüderlich - der hoheitlich Eine in ihrer Mitte hebt sich gerade mal durch einen Fingerbreit Latte höher von seinen Brüdern ab. Welcher Kontrast zu jeglicher Kirchenanmaßung. Und auch etwaiger Kunstanmaßung.
Doch würdige man auch seine feinsinnige Zeichnung, die immer schon den Raum im Blick zu haben scheint. Und man erstaune, daß er auch einmal in Porzellan arbeiten konnte (in der Dresdner Kathedrale: in diesem Material aber die vor Entsetzen hoch aufragend erstarrte Pietà) und daß er Kirchen auch architektonisch gestaltete: einmal die Altarwand hinter der freistehenden Mensa (er ging ganz mit der liturgischen Bewegung), bewegt als das Rote Meer hin auf die Gemeinde: sie muß es, gespeist am Tisch, tapfer durchqueren.
Es sei noch erwähnt, daß Sohn Falk den Nachlaß 1995 der Würzburger Diözese übergeben hatte. Offensichtlich ist er hier in guten Händen.
(Manfred Richter)