Verlag C.H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-58713-9, 320 S., 24 Farbabbildungen, Hardcover gebunden mit Schutzumschlag, € 19,95 (D)/SFR 30,50/€ 20,60 (A)
Am Anfang von Josef H. Reichholfs Suche nach dem Ursprung des Schönen steht das Staunen. Der Evolutionsbiologe erinnert an eine Birkhahnbalz an einem frostigen Märzmorgen zu Beginn der 1960er Jahre in einem kleinen Hochmoor am oberösterreichischen Alpenrand. Als zehn Hähne beieinander waren, fing die Schau an. „Mit gesenkten Flügeln, deren äußerste Federn auf dem Schnee schleiften, mit gespreizten Schwanzfedern, die von hinten betrachtet ein leuchtend weißes Federdreieck bildeten, und kullernden Rufen drohten sie einander, machten Luftsprünge, fauchten dabei und versuchten, Brust an Brust bis zu einem Meter hochspringend, sich mit weit nach vorn gespreizten Zehen zu treten. Die roten Wülste über den Augen schwollen an... Die Hähne wirbelten nicht planlos durcheinander. Es gab ein klares Zentrum. Innerhalb dessen sprangen sie am höchsten und forderten einander am heftigsten heraus" (Josef H. Reichholf). Reichholf fragt nach der Herkunft, dem Zustandekommen und der Funktion dieser Balz ebenso wie nach den Prachtkleidern und Gesängen in der Vogelwelt, dem Schauwert von Gebilden wie dem Hirschgeweih und den Farben und Symmetrien beim Sehen. Um das Schöne an sich, um die philosophische Ebene geht es ihm nicht. Seine Antwort variiert Darwins Vorstellung der sexuellen Selektion durch die Weibchen. Die natürliche Selektion passt die Organismen an ihre Umwelt an, die sexuelle Selektion entfernt sich von ihr. Warum das so ist, bleibt bei Darwin offen. Der israelische Biologe Amotz Zahavi schlägt als Antwort das „Handicap-Prinzip" vor. Männchen müssen Weibchen etwas bieten, das diese bewerten können. Es sollte aufwändig und auffällig sein und gleichsam in die Augen stechen. Prachtkleider von Vogelmännchen sind zweifellos auffällig und aufwändig, der Pfau mit seiner schweren Schleppe und der Hirsch mit seinem sperrigen Geweih sicherlich auch. In gewisser Weise behindert sich das männliche Geschlecht durch diesen Aufwand aber selber. Der Riesenhirsch stirbt sogar aus. Nach dem „Handicap-Prinzip" wollen „Männchen" imponieren und tragen die Folgen, gleichgültig ob es sich um Menschen, Hirsche oder Pfauen handelt. Reichholf hat nun versucht, die negativen Folgen des männlichen Handicaps zu verifizieren. Dabei verflüchtigt sich das Prinzip. Er geht von der zufälligen Beobachtung eines Pfauenhahns in seiner natürlichen Umgebung im Dschungel von Sri Lanka aus. Der Pfauenhahn pickt auf einer Lichtung nach Nahrung und zieht seine dicht übereinander gefalteten Schwanzfedern hinter sich her. Ein Leopard springt ihn an. Der Pfau schafft es gerade noch, auf den nächsten Baum zu fliegen. In einem anderen Fall packt der Leopard zu. Der Beobachter ist überzeugt, dass der Pfau zur Beute des Leoparden geworden ist. Aber dem ist nicht so. „Auch dieser Pfauenhahn machte einen Blitzstart und verschwand im rettenden Geäst. Dort oben war er aber nur noch halb so lang wie vorher. Sein ganzes Prachtgefieder hatte er nämlich in dem Moment, in dem ihn die Pfoten der Großkatze erfassten, mit einer Schreckmauser abgestoßen. Dem verdutzten Leoparden hinterließ er ... die Schmuckfedern ..., die Federn an Flügeln und Schwanz blieben erhalten ... Die abgestoßenen Federn wachsen wieder nach. Der Pfau hatte keinen Tropfen Blut verloren, sondern lediglich totes Material, das ersetzt werden kann" (Josef H. Reichholf). Bei genauerer Betrachtung gleichen sich die Leistungen, die Weibchen für die Brut und die Männchen für die Schönheit aufbringen, energetisch eins zu eins aus.
Warum gelten dann aber bei den Menschen die Frauen als das schönere Geschlecht? Die Menschen haben sich durch ihre zunehmende innere Komplexität und ihre Möglichkeit, sich an verschiedenste Umgebungen anzupassen, größere Spielräume und Entfaltungsmöglichkeiten erworben. Ihre Freiheit erschwert den Blick auf die (biologischen) Ursprünge des Schönen, „weil sie dieses nicht nur idealisieren, sondern auch, kunstfertig oder einfach nur künstlich, gänzlich umgestalten kann. Damit entsteht der Eindruck, die Schönheit, die wir in der Natur vorfinden, müsse etwas anderes sein als das, was Menschen in so vielfältiger Weise als Kunst hervorbringen oder dafür halten" (Josef H. Reichholf). Aber das, was Menschen als schön empfinden, hat für Reichholf durchaus mit ihrer Natur zu tun. Er verweist auf die als schön empfundenen Symmetrien in der Natur, die Proportionen der menschlichen Körper und das als schön empfundene, durch Überlagerung zahlreicher Einzelgesichter künstlich hergestellte Durchschnittsgesicht, das weitestgehend dem Schönheitsideal entspricht. Anziehend schön wird das Gesicht aber erst durch geringfügige Abweichungen vom idealen Durchschnitt. Erst die Variation schafft die Individualität. Und plötzlich hat dann auch die menschliche Schönheit im Kern mit Sexualität zu tun. Biologisch gesehen müssen Frauen großes Interesse an Vätern haben, die nicht nur physisch qualifiziert sind, sondern sich langfristig verlässlich um den Nachwuchs kümmern. Die weibliche Gegengabe ist das Versprechen der Lust. „Bindungen, die belohnt werden und nicht nur Kosten verursachen, halten länger und besser...Das ist der ebenso schlichte wie wirksame Hintergrund des Altruismus... Wichtig ist, dass die grundlegende altruistische Beziehung zwischen Menschen, die Partnerbindung, lustbetont ist und mit Lust(empfinden) belohnt wird. Die stärkste Quelle von Lust ist die Sexualität ... Die Sexualität erschöpft sich nicht in der Zeugung, sondern sie (ver)bindet die Menschen. Sie schafft enge Partnerschaften, intime Vertrautheit und Wohlbefinden... Einer hinreichend engen und lange genug (bis zum Selbständigwerden der Kinder) anhaltenden Bindung musste daher zwangsläufig eine besondere Bedeutung zukommen, wenn die Betreuungszeit und der damit verbundene Aufwand entscheidend für den Überlebenserfolg sind... Wenn nun aber, wie beim Menschen, die Kinder ein Jahrzehnt und länger der Betreuung durch die Eltern nötig haben und dabei sehr viel lernen müssen, ist es geradezu unumgänglich, dass die Partnerbindungen mit dem Mittel ganz besonders verstärkt werden, das am meisten Lust bringt. Das ist die Sexualität" (Josef H. Reichholf).
(ham)