Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 11.02. - 29.05.2011 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt
Hrsg. von Ingrid Pfeiffer und Max Hollein mit Essays unter anderem von Angela Lampe, Ulrich Lehmann und Laurence Madeline
Schirn Kunsthalle Frankfurt/Hatje Cantz Verlag Ostfildern, 2011, ISBN 978-3-7757-2768-6, 280 S., ca. 230 s/w- und Farbabbildungen, Hardcover gebunden, Format 28,5 x 23,5 cm, € 34,80 (Museumsausgabe), 39,80 (Buchhandelsausgabe)
Die in dem groß angelegten Katalog dokumentierte und wissenschaftlich aufgearbeitete Ausstellung von 70 Fotografien von verloren gegangenen und 170 surrealen Skulpturen und Objekten von 51 populären und vergessenen Künstlern wie Marcel Duchamp, Salvador Dali, Man Ray, Mimi Parent und Óskar Domínguez schließt eine Forschungslücke: An den psychologisch aufgeladenen Objekten kann man nicht nur die Grundprinzipien der surrealistischen Theorie Entfremdung, Kombinatorik und Metamorphose angewendet finden, sondern auch die sich ändernde Wahrnehmung der Materialität und den instrumentellen Wandel des Materialismusverständnisses: „Das heißt, einen Wandel von einem empirischen, mechanistischen Verständnis der Welt zu einer Offenbarung der vergegenständlichten, entfremdenden Strukturen in ihr. Die Kategorisierung der Objekte wurde somit zuerst bestimmt durch den höchst subjektiven, traumbehafteten Wunsch Objekte zu finden, die unbewusste Prozesse entblößen können... Wenn der Traum und die Regression gestalterische Form annehmen, zeigt sich das Subjekt selbst in verschiedenen materiellen Zuständen, die sich an dem Grad der künstlerischen Manipulation messen lassen. Wenn nun dieser Prozess bewusst wahrgenommen wird, steht solch ein Objekt im Widerspruch zu den zuvor existierenden Gegenständen ... Dieser Widerspruch erlaubte dann wiederum eine weitere Kategorisierung dieser Objekte (unter anderem als ‚mathematische Objekte', ‚Naturgegenstände', ‚exotische Objekte', ‚Fundstücke'...), die dann endlich in einer Typologie mündete, die von den Künstlern selbst erfunden wurde: Das surrealistische Objekt, später ‚poem-objet' genannt; ein Objekt, das die Geschichte der Objektivierung des Subjekts in sich selbst demonstriert" (Ulrich Lehmann). Wie zu erwarten, kommt auch diese Publikation nicht um das von Isidore Ducasse, genannt Comte de Lautréamont für den Surrealismus gefundene dichte Bild herum: „Schön wie die zufällige Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch". Konsequenterweise hat Man Ray sein verschnürtes Objekt ‚L'énigme d'Isidore Ducasse/Das Rätsel von Isidore Ducasse' genannt und unter dem Teppich eine Nähmaschine versteckt. André Breton deutet 1932 den Regenschirm als Mann, die Nähmaschine als Frau und den Seziertisch als Bett, und erklärt De Sade zum Vorläufer des Surrealismus: „De Sade ist surrealistisch im Sadismus" (André Breton, 1924). Ingrid Pfeiffer geht in ihrem Essay ‚Surreale Dinge gestern und heute' weiteren Stationen auf dem Weg zum Surrealismus wie den Readymades von Marcel Duchamp, dem Absinthglas von Picasso und der Rolle der surrealistischen Objekte in Surrealistenausstellungen zwischen 1936 und 1965 nach. Angela Lampe schließlich fragt, warum sich mit dem in den 1930er-Jahren gestiegenen Interesse am Objekt auch die Rolle der Künstlerinnen im Surrealismus wandelt und Meret Oppenheims Objekt ‚Frühstück im Pelz', 1936, mit Fell überzogene Tasse, Untertasse und Löffel Welterfolge feiert. „Binnen eines Jahres war die Pelz-Tasse zum Inbegriff des Surrealismus geworden und ihre Produzentin ein Star ..." (Angela Lampe). Ein weiterer Pfeiffer-Essay widmet sich den „Mannequins" in der ‚Exposition internationale du surréalisme 1938'.
(ham)