Eine 2000-jährige Beziehung
Verlag Schnell + Steiner Regensburg, 2011, ISBN 978-3-7954-2359-9, 296 S., 91 Farbtafeln, Hardcover gebunden, Format 24,5 x 17,5 cm, € 34,90
Gegenwartskunst hat es in Timothy Verdons Überblick über die 2000-jährige Beziehung zwischen sakraler Kunst und Kirche schwer. Einzig Filippo Rossis Materialcollage ‚Familie Gottes. Familie des Menschen' wurde in den Überblick aufgenommen. Rossi wird als zeitgenössischer Künstler vorgestellt; nähere Angaben zum Werk fehlen. Nach Verdon zeigt die Arbeit den „Heiland, geboren als Licht im vergoldeten Holz eines Tau-Kreuzes; dieses Holz ist in ein größeres eingespannt, das auf den Zimmermann Josef verweist als Vertreter der Geschichte des Volkes Israel, in die der Gottessohn sich einfügt; außerdem grenzt es an das von Gold gestreifte Weiß, das auf Maria anspielt". Verdon fragt, ob ein so weit von der Tradition entferntes Werk wirklich noch zur Sakralkunst gezählt werden kann. Und antwortet er denke ja, denn die Kirche besaß nie einen eigenen Kunststil, sondern hat sich der Kunstformen aller Epochen je nach den Neigungen und dem Charakter der Völker und den Anforderungen der verschiedenen Kulthandlungen bedient. Zum sakralen Bereich gehört auch das, was auf die Wahrheit und Wirklichkeit des Menschen verweist. „Jede echte Form von Kunst ist, jeweils auf ihre Art, ein Zugang zur tiefsten Wirklichkeit des Menschen und der Welt" (Johannes Paul II.). Dennoch ist der Band des Kunsthistorikers, Domherrn der Kathedrale von Florenz und Leiters des Büros für die „Katechese durch die Kunst" auch für an Gegenwartskunst Interessierte hoch spannend, weil er zentrale Aspekte katholisch-offizieller Kunstauffassung zusammenfasst und mit eindrücklichen Beispielen aus der Geschichte der kirchlichen Kunst belegt. Die Arbeit setzt mit dem Hinweis ein, dass die Rolle der Kunst in der Kirche von Päpsten und Theologen gefördert, erklärt und notfalls sogar verteidigt worden ist. Unter anderem wird auf einen Brief Gregor des Großen an einen Bischof und Bildgegner verwiesen, in dem er die letztlich spirituelle Zielsetzung von Sakralbildern unterstreicht und ihre Bedeutung in der Alltagsseelsorge betont: „Ein Gemälde anbeten ist eine Sache; aus der Darstellung eines Gemäldes lernen, was wir anbeten sollen, eine andere". Für Johannes Paul II. braucht die Kirche die Kunst, um die ihr von Christus anvertraute Botschaft weiterzugeben. „Denn die Kirche soll die Welt des Geistigen, des Unsichtbaren, die Welt Gottes wahrnehmbar, ja soweit als möglich, faszinierend machen" (Johannes Paul II.). Für Benedikt XVI. ist „auch das Bild Verkündigung des Evangeliums". Als Präfekt der Glaubenskongregation hatte er darauf hingewiesen, dass die Künstler jeder Epoche „die herausragenden Ereignisse des Heilsmysteriums den Gläubigen zum Betrachten und Bestaunen dargeboten und sie im Glanz der Farben und in der Vollendung der Schönheit zur Darstellung gebracht" haben. „Dies ist ein Zeichen dafür, dass das sakrale Bild in der visuellen Kultur von heute vielmehr als das Wort auszudrücken vermag, weil es in seiner Lebendigkeit die Botschaft des Evangeliums äußerst wirksam zur Sprache bringt und weitergibt". Im Kapital ‚Biblia pauperum' wird deutlich, dass diese nicht nur für Kinder und Analphabeten gedacht war, sondern für alle „Armen im Geiste", denen Jesus in der Bergpredigt das Himmelreich verheißt. Religiöse Kunst visualisiert dieses Reich und leitet zur Gottesschau an. Im Christentum führt sie ihrem Wesen nach zum Herzstück des Glaubens, „zum Paradoxon eines spirituellen Gottes, der sich auch materiell äußern wollte" (Timothy Verdon). Sakrale Kunst hat deshalb für Verdon immer eine über die Ästhetik hinausgehende Schönheit. Auf einem Tafelbild des senesischen Meisters Sassetta betet der hl. Thomas von Aquin vor einem Kruzifix. Das Kreuz ist verbrämt mit einem weißen Schleier mit kleinen roten Kreuzchen, die sich wie Blutstropfen ausnehmen. „Sujet des Werks ist die mystische Erfahrung des dominikanischen Theologen, der beim Beten die Stimme des Heilands hörte... Im privaten, subjektiven Gebet erlebt er die Objektivität der gemeinschaftlichen Feiern, und im Bild entdeckt er den ‚sprechenden' und ‚gegenwärtigen' Christus des Wortgottesdienstes und der wesensverwandelten Gestalten von Brot und Wein" (Timothy Verdon). Das Bild wird zur Sakramentalie. Weitere Kapitel sind Christus als dem sichtbaren Wort, den Zeichen und Gleichnissen, der heilsgeschichtlichen Betrachtung der Säkulargeschichte, dem Gebot und dem Ziel der Kirchengeschichte gewidmet, das sich für Verdon im Petersdom und im Petersplatz als Gesamtkunstwerk symbolisiert: „Der Raum vor der Basilika wird von einem heidnischen Zirkus zu einem christlichen Theater, in dem Christus sich als Protagonist der Geschichte offenbart und die Christen selbst zu Schauspielern auf der Bühne der Jahrhunderte werden, indem sie in ihrem Leben das ergänzen, was am Leiden des Erlösers noch fehlt" (Timothy Verdon).