Hans Kerner (Hrsg.)
Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2008, ISBN 978-3-374-02624-1, 134 S., 9 s/w-Abbildungen, Broschur, Format 21,5 x 14,5 cm, € 18,80
Der vorliegende Band dokumentiert das vom Nürnberger Gottesdienst-Institut verantwortete interdisziplinäre Symposium zu Fragen des Kirchenraums als Lebensraum vom 22. - 24. Oktober 2007 in Pullach. Hans Kerner hat die Bayreuther qualitative empirische Untersuchung unter evangelisch Getauften in Bayern zur Plausibilität der handlungsleitenden Argumentationen und Theorien von Bedürfnissen, Ritualen und Bedeutungszuschreibungen an Kirchen (siehe J. Martin, Mensch - Alltag - Gottesdienst, Bayreuther forum Transit 7, Berlin 2007) speziell zum Kirchenraum ausgewertet. Er kommt zur Einschätzung, dass Kirchenräume und Kirchengebäude eine Anziehungskraft entwickeln, die weit über das Architektonische hinausgeht. Solange dort zu festgelegten Zeiten Gottesdienste gefeiert werden, haben sie auch für viele Menschen, die selbst keine Gottesdienste besuchen, symbolische Bedeutung. Die Bindung an Kirchengebäude ist oft größer als an Hauptamtliche und an die Gemeinde. Die Beziehung zur „eigenen Kirche" führt dazu, dass sie unabhängig von ihrer objektiven Beschaffenheit in der Regel als „schön" empfunden wird. Wo eine Kirche offen ist, wird sie von vielen häufiger aufgesucht als der Gottesdienst. Der Kirchenraum wird dankbar als „fertiger Raum" angenommen und gewinnt im Urlaub eine besondere Bedeutung. Für Klaus Raschzok kommen evangelischen Kirchenbauten „als Zeichen des Unverfügbaren in einer zweckrational bestimmten Gesellschaft hohe symbolische Bedeutung zu... Sie spielen für die Interaktion zwischen Individuen, christlicher Religiosität und Gesellschaft eine entscheidende Rolle (Klaus Raschzok). In seiner Zusammenfassung der Theoriemodelle zur Beschreibung der Leistung der Kirchengebäude erinnert Raschzok zuerst an den religionsphänomenologischen Ansatz von Hermann Schmitz. Dieser Ansatz „vermag die Unabhängigkeit der Raumwirkung vom aktuellen Gebrauch durch eine kirchliche Institution zu beschreiben. Er geht dabei von einer Überwindung des auf Introjektion begründeten Verstehensansatzes aus. Das, was herkömmliche Verstehensmodelle in das Innere des Menschen oder in seine Seele verlegen, kehrt Schmitz nach außen. Gefühle werden von ihm als Atmosphären verstanden", die der Ausdifferenzierung in das lebende Subjekt und in Gegenobjekte übergeordnet sind. „Der Kirchenraum stellt eine Umfriedung dar, welche die sonst flüchtigen göttlichen Atmosphären intensiver spüren lässt und zugleich den Erlebnisstil verwandelt" (Klaus Raschzok). Raschzok erinnert weiter an den Soziologen Heinz-Georg Soeffner, der Kirchengebäude als kollektive Identitätssymbole einer Gesellschaft versteht, an den semiotischen Ansatz von Rainer Volp, der Räume als Texturen deutet und an den rezeptionsästhetischen Ansatz von Hans Asmussen. Asmussen „geht davon aus, dass Gottesdiensträume Spuren der gottesdienstlichen Nutzung einbeschrieben tragen, die auch außerhalb des gefeierten Gottesdienstes präsent sind und bei entsprechender Intensität auch sinnlich wahrgenommen werden können ... Jeder, der einen Kirchenraum betritt, wird in dieses Spurennetz verflochten und mit seiner Lebensgeschichte mit den vorherigen Generationen verbunden" (Klaus Raschzok). Schließlich referiert er neuere theologische Theorieansätze unter anderem von Wolf-Eckart Failing, Thomas Sternberg, Elisabeth Jooß, Helmut Umbach und Tobias Woydack. Letztere arbeiten den engen Zusammenhang von Raumvorstellung und Gottesbild heraus und machen deutlich, „dass die Reflexion von Raumerfahrungen kein Randgebiet der Theologie [mehr] darstellt, sondern immer zentral die Frage der Gottesvorstellung tangiert" (Klaus Raschzok). In der Konsequenz plädiert Raschzok unter anderem für die Einsicht, dass räumliche Kompetenz als Teil der gottesdienstlichen Kompetenz zu begreifen ist. „Der Kirchenraum entlastet die für die Feier des Gottesdienstes Verantwortlichen. Er nimmt ihnen ab, ständig ausschließlich mit ihrem eigenen liturgischen, homiletischen oder musikalischen Gestalten für die Aktualität der Feier und ihres Gehaltes sorgen zu müssen... Wird der Gottesdienst selbst als eine künstlerischen Prozessen analoge Gestaltungsaufgabe begriffen, dann entfällt die Möglichkeit, Architektur und Kunst als dessen äußere Voraussetzungen oder Dekorum zu verstehen. Die verschiedenen Künste wirken jeweils in der Gestaltung eines selbst als Kunstwerk verstandenen Gottesdienstes zusammen. Der Kirchenraum ist mehr als die äußere Voraussetzung der gottesdienstlichen Feier. Er stellt vielmehr einen wesentlichen Konstitutionsfaktor des Gottesdienstes dar. Raum und Gottesdienst spielen zusammen (Klaus Raschzok). Weitere Aufsätze des Bandes widmen sich philosophischen und architektonischen Aspekten des Raumerlebens. Exemplarisch werden zudem drei Raumkonzepte von Münchener Kirchen analysiert und zu ihren Nutzungszielen in Beziehung gesetzt.
(ham)