Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 17.04. - 16.10.2011 in der Kunsthalle Würth, Schwäbisch Hall
Hrsg. von C. Sylvia Weber mit Texten von Werner Spies, Guido Magnaguagno und der Herausgeberin
Kunsthalle Würth, Schwäbisch Hall/Swiridoff Verlag, Künzelsau, 2011, ISBN 978-3-89929-211-4, 232 S., zahlreiche Farbabbildungen, Leinen gebunden mit Schutzumschlag, Format 28,5 x 23 cm, € 35,--
Die am 29. Oktober 1930 in Neuilly-sur-Seine geborene Catherine Marie-Agnès de Saint Phalle ist in der Kunstwelt als Niki de Saint Phalle bekannt geworden. Sie hat mit ihren in den frühen 1960er Jahren entstandenen Schießbildern Kunstgeschichte geschrieben und wird für ihre farbenfrohen Nanas geliebt. In ihrer am 12. Februar 1962 organisierten ersten Schießaktion setzte sie mit Gips überzogene Assamblagen ein, in denen farbgefüllte Behälter verborgen waren. Sobald ein Projektil diese Behälter getroffen hat, lief die Farbe über das Kunstwerk herab. Die entstehenden Arbeiten sind als ‚Schießbilder' oder ‚tirs' bekannt geworden. Für die Kunsthistorikerin Eva Kirn-Frank sind die Arbeiten „Prozess, Happening und Ergebnis zugleich: Niki ist diejenige, der es gelingt, den poppigen Neodadaismus mit den [lt]ungeplanten[gt] Malprozeduren des Abstrakten Expressionismus zu verbinden" (Eva Kirn-Frank in der Stuttgarter Zeitung vom 21.04.2011, S. 29). Deshalb ist es nur konsequent, dass sie von dem Wortführer der Nouveaux Réalistes Pierre Restany zur Mitarbeit in der bis dahin nur Männern vorbehaltenen Gruppe eingeladen wird. Für Nike de Saint Phalle sind ihre Schießbilder zugleich aber auch eine Abrechnung mit ihrem Vater und ihren Liebhabern. „1961 schoss ich auf: Papa, alle Männer, kleine Männer, große Männer, bedeutende Männer, dicke Männer, Männer, meinen Bruder, die Gesellschaft, die Kirche, den Konvent, die Schule, meine Familie, meine Mutter..., auf mich selbst... Ich schoss, weil es Spaß machte und mir ein tolles Gefühl gab. Ich schoss, weil mich die Beobachtung faszinierte, wie das Gemälde blutet und stirbt. Ich schoss um dieses magischen Moments willen. Ekstase. Es war ein Moment skorpionischer Wahrheit. Weiße Reinheit. Opfer. Schussbereit! Zielen! Feuer! Rot, gelb, blau - das Gemälde weint, das Gemälde ist tot. Ich habe das Gemälde getötet. Es ist wiedergeboren. Krieg ohne Opfer" (Niki de Saint Phalle). Die Schießaktionen helfen ihr, ihr Kindheitstrauma zu überwinden und zu ihrer Weiblichkeit zu stehen. Ab 1963 entstehen erste plastische Objekte, in denen sie sich mit den verschiedenen Rollen der Frau auseinandersetzt, darunter unter anderem die Arbeit ‚Beinahe verheiratet', 1963, Farbe, Stoff und diverse Objekte auf Drahtkonstruktion, 87 x 78 x 23 cm, die Woll-, Stoff-, Gips- und dann auch die Nanas aus Polyester. Der zur Ausstellung in der Kunsthalle Würth mit 150 Exponaten aus allen Schaffensperioden erschienene Katalog widmet den frühen Gemälden aus den 1950ern und dem Spätwerk ebenso eigene Kapitel wie den Großskulpturen, den Zeichnungen, den Graphiken und den Garten- und Architekturprojekt, so dem Tarot-Garten und dem mit Mario Botta in Jerusalem realisierten Skulpturengarten Arche Noah. Am 21. Mai 2002 verstirbt Niki de Saint Phalle in La Jolla, Kalifornien.
(ham)