Böhlau Verlag Köln Weimar Wien, 2009, ISBN 978-3-412-20285-9. 303 S., 16 s/w-Abbildungen und neun Farbtafeln, Hardcover gebunden mit Schutzumschlag, Format 21,5 x 14 cm, € 24,90
Ikonen bilden, einem Steinbruch vergleichbar, wesentliche Schichten christlicher Weltsicht und Geschichte ab, so die spätantike Verschmelzung von Grab-, Kaiser- und Gottesbild, den byzantinischen Bilderstreit, die allmähliche Ausbreitung des Christentums und nicht zuletzt auch das Verhältnis von Folklore zu Hochkultur. Deshalb ist es für Christoph Schmidt erstaunlich, dass Historiker und Kunsthistoriker diese Perspektive bisher kaum beachtet haben. Die vorliegende Studie schafft im Blick auf die Geschichte der Ikonen in Russland Abhilfe. Im Vordergrund stehen die Fragen nach den Formen und Ursachen des Wandels der Ikonen zwischen Mittelalter und Barock, weniger die Frage nach Meisterwerken als die nach Bruchstücken als Zeugen des Umbruchs und die nach Wendemarken der Ikonengeschichte. Schließlich werden, wenn immer möglich, Text und Bild gegenübergestellt: „Von Ausnahmen abgesehen entstanden seit dem Ende der Kiever Rus’ erst die Texte und dann die Bilder. Damit eng verbunden ist die Frage nach folkloristischen Quellen der Ikone, die nicht über Texte, sondern mündlich oder bildlich tradiert wurden“ (Christoph Schmidt). Im Einzelnen werden unter anderem die Entstehung der Ikonen als Legende behandelt, die drei Stränge in sich vereinigt: das ägyptische Mumienporträt, das Porträt des Erlösers sowie das des Kaisers. In der Verschmelzung dieser Stränge liegt einer der Gründe für die spätere politische Instrumentalisierung der Ikonen. Die Taufe der Rus’ erscheint als Werk einer Schicht, die sich im Inneren politisch behaupten wollte und im Äußeren von Isolierung Abstand nahm. Ol’ga hatte sich 956 in Byzanz taufen lassen, unter Vladimir folgten Massentaufen im Dnepr, die Zerstörung der alten Kultstätten und Götterbilder und die Etablierung der Ikonen. Als erster russischer Ikonenmaler gilt Alimpij, ein Mönch des Kiever Höhlenklosters. Eigene Kapitel sind u.a der Bedeutung von Novgorod, Andrej Rublev und Dionisij gewidmet. Von den etwa 9000 Sujets der Ikonenmalerei der Ostkirche fallen etwa 12 auf Gottesdarstellungen, 400 auf die Gottesmutter, 20 auf Engel, 400 auf Szenen aus der Bibel und 8000 auf Heilige. In der Stroganov-Schule erfreuen sich Ikonen von Kriegern besonderer Beliebtheit. Die Ikonen werden jetzt signiert. Erstmals kommt das Bedürfnis auf, die Regeln der Ikonenmalerei festzuschreiben. Aus diesem Bedürfnis geht das älteste erhaltene Lehrbuch der Ikonenmalerei hervor. Mit dem Übergang zum Zarenreich 1547 war der zentrale Ikonenmythos von Urbild und Abbild obsolet geworden. Monumentalgemälde wie die „Kirche auf dem Kriegszug“, 1552, 142 x 426 cm, wurden zu Herrscher- und Auftragsbildern. Die politische Indienstnahme verdrängt den Mythos. Damit war der Weg zur Signatur frei. (ham)