Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Institut Mathildenhöhe Darmstadt vom 24.10.2010 bis 13.02.2011 Hrsg. von Ralf Beil und Claudia Dillmann in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Filmmuseum Frankfurt a. M. Hantje Cantz Verlag, Ostfildern 2010 ISBN 978-3-7757-2712-9, 512 Seiten, 312 Farbabbildungen, deutsch, Hardcover gebunden, Format 30,9 x 25,4 cm, EUR 58,-
Was ist das Gesamtkünstlerische des Expressionismus? Diese Frage zu beantworten, widmen sich Ausstellung und Katalog. Und ist es gelungen?
Der Besucher der Ausstellung wird vorsichtig in das Gesamtkunstwerk, das Zusammenspiel der Künste (z.B. Wort, Tanz und Bühnenbild im Theater) und ihre wechselseitige Durchdringung eingeführt. Sein Blick wird systematisch geschärft, durch die gelungene Anordnung der Werke sowie präzise textliche Erklärungen.
Der Katalog hat es da schwerer. Als monumentales Werk (512 S.) konzipiert, überfordert er den Leser zunächst. Dabei folgt die Gruppierung der zahlreichen Artikel, von wenigen Ausnahmen abgesehen, folgendem durchaus logischen Schema: Definition Gesamtkunstwerk - Themen des Expressionismus - einzelne Kunstformen - Gesamtkunstwerk Architektur. Dem Leser eröffnet sich dies aber erst nach einer umfangreichen Einarbeitung. Er unterliegt der Gefahr, sich im Dschungel der Themen zu verlieren und das Gesamtkünstlerische nicht zu erfassen. Nicht zuletzt wegen häufig fehlender Zwischenüberschriften in den Artikeln, lässt sich die Flut an Informationen und Bildern kaum bändigen.
Der Verdacht liegt nahe, dass die Macher das Gesamtkünstlerische des Expressionismus über ein eigenes „Gesamtkunstwerk Katalog" vermitteln wollten. Im Gegensatz zum Gesamtkunstwerk Expressionismus das verschiedene Ausdrucksformen kennt und integriert, ist jedoch der Druck auf den visuellen Aspekt beschränkt. Um diesen Nachteil auszugleichen, wird mit Schwarz/Weiß gespielt und Textbausteine in Anlehnung an expressionistische Symbolik arrangiert.
Trotzdem verlieren die in der Ausstellung vorherrschenden dunklen Themen des Expressionismus (Ängste vor Tod, Armut und Gewalt) dabei an Ausdruckskraft. Wer sich nämlich auf die Werke in der Ausstellung einlässt, wird unweigerlich auch mit seinem kollektiven Schatten konfrontiert, seinen unbewussten Ängsten und Trieben.
Diese intensive Wirkung kann der Katalog nicht ausstrahlen. Der Versuch, dies über einen Beitrag zur „Philosophie des Expressionismus", auszugleichen, in dem auch Freud zu Wort kommt, zeigt hier die Grenzen auf.
Und damit scheint das Ziel, über den Katalog das Gesamtkünstlerische zu vermitteln, dann doch wieder gelungen. Allerdings nicht, weil sich der Katalog selber in die Reihe der Gesamtkunstwerke einreihen würde, sondern weil durch ihn deutlich die heutigen Grenzen des Machbaren aufgezeigt werden. Nicht umsonst war die Zeit des Expressionismus der bislang letzte Versuch, ein Gesamtkunstwerk zu schaffen.
(Thomas Moser)