Katalogbuch zu den gleichnamigen Ausstellungen vom 23.01. - 24.05.2010 in der Kunsthalle Emden und vom 01.06. - 05.09.2010 in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München Hrsg. von Christiane Lange und Nils Ohlsen mit Texten unter anderem von Katharina Henkel, Bernhard Maaz, Sabine Schlenker und den Herausgebern Kunsthalle Emden/Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München/Hirmer Verlag München, 2010, ISBN 78-3-7774-2421-7, 300 S., ca. 250 Farbabbildungen, Hardcover gebunden, Format 29,5 x 28,5 cm, € 25,-- (Museumsausgabe); € 39,90 (D)/€ 41,10 (A)/SFR 64,90 (Buchhandelsausgabe)
Was wirklich ist, bleibt zwischen Idealisten und Realisten und zwischen Geistes- und Naturwissenschaften strittig. Vertreter kosmologischer Standardmodelle setzen andere Akzente als alternative Denker. Der radikale Konstruktivismus lehnt jede Möglichkeit einer objektiven Beschreibung der Wirklichkeit ab. Deshalb verwundert es überhaupt nicht, dass der ab dem 19. Jahrhundert im Kunstkontext auftauchende Realismus-Begriff umstritten bleibt. „Laut Eintrag im ‚Dictionary of Art' ist (der Realismus) eine ‚Bewegung der Kunst von der Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts, in der man versuchte, objektive Abbildungen der sichtbaren Welt auf der Grundlage neutraler Beobachtungen zeitgenössischen Lebens zu schaffen.' Zwar ist der Realismus in den Jahrzehnten zwischen 1840 und 1870 als künstlerische Bewegung greifbar, doch gehen die Definitionen infolge einer lebhaften Debatte, die in Frankreich ihren Höhepunkt in den 50er Jahren erlebte, schon hier weit auseinander" (Nils Ohlsen). Ohlsen findet Ansätze der realistischen Kunst schon in den Höhlezeichnungen der Steinzeit, in hellenistischen Skulpturen und in ägyptischen Mumienporträts; weiter im Realismus des 15. Jahrhunderts, in der Zentralperspektive der florentinischen Frührenaissance und im bürgerlichen Realismus der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Für Gustave Courbet ist das einzige zulässige Thema für einen Realisten „die eigene Erfahrung und Beobachtung der zeitgenössischen Welt" (Nils Ohlsen). In der Folge wird der Künstler zum Zeugen seiner Gegenwart und seines individuellen Erlebens. Der Glaube an die Fakten ersetzt den Glauben an eine höhere Welt. „Die Tatsache, dass der Gegenstand im Realismus ohne eine explizite Verweisfunktion auf eine andere Wirklichkeit dargestellt wird, hat weitreichende Folgen für die Konzeption, Struktur und Wirkung eines Bildes. Schon aus der Auflösung einer klaren kompositorischen Ordnung, der sich die einzelnen Dinge unterordnen, resultiert etwa, dass Unruhe ohne ersichtliche Ursache entsteht oder Bewegung ohne ein erkennbares Ziel verläuft. Die realistische Kunst bewegt sich zwischen der Hoffnung, Wirklichkeit zu verstehen, und dem Zweifel, sie einfangen zu können. Der Abschied von einer einheitlichen Wirklichkeitsvorstellung der Welt impliziert ihr Rätselhaft-Werden" (Nils Ohlsen). Die Publikation vereint mehr als 180 Werke von rund 120 internationalen Künstlern aus den Bereichen Malerei, Skulptur, Fotografie, Videokunst und Installation von Berenice Abbott über Chuck Close, Gustave Courbet, Otto Dix, Albert Renger-Patzsch, Gerhard Richter, Christian Schad, Rudolf Schlichter und Mark Tansey bis Andrew Wyeth. Die Arbeiten sind in Themenfeldern Stillleben, Interieur, Stadt, Landschaft, Historie, Genre, Porträt und Akt zugeordnet. Die Essays widmen sich unter anderem urbanen Utopien, Aspekten des modernen Historienbilds und der Porträtkunst.
(ham)