Die Kunst-Station Sankt Peter Köln im Spannungsfeld von Religion und Kunst
Bild – Raum – Feier. Studien zu Kirche und Kunst. Band 7
Hrsg. von Albert Gerhards, Thomas Sternberg, Walter Zahner und Frank Günter Zehnder, Band 7
Schnell [&] Steiner, Regensburg, 2009, ISBN 978-3-7954-2110-6, 423 S., 89 s/w-Fotos, Softcover, Format 24 x 16,9 cm, € 29,90
Guido Schlimbachs Bonner Dissertation zeichnet die Vorrausetzungen, den Verlauf und das mögliche Scheitern der von Friedhelm Mennekes ein halbes Leben lang angestrebten neuen Begegnung von Kunst und katholischer Kirche nach. Mennekes war nach ersten Gehversuchen mit Gegenwartskunst in Sankt Markus, Frankfurt-Nied, und dem Aufbau einer Kunststation im Frankfurter Hauptbahnhof 1987 als Pfarrer nach Sankt Peter, Köln, berufen worden. Er sollte dort die in Frankfurt erprobten Ansätze fortsetzen und weiter entwickeln. In Mennekes Verständnis von Großstadtpastoral war die Begegnung von Kunst und Kirche im Kirchenraum eine der Kinder-, Jugend- und musikalischen Arbeit vergleichbaren Methode, die die gleichberechtigten Partner nicht instrumentalisiert. Kunst durfte in St. Peter Kunst und Religion Religion bleiben. Zu den Höhepunkten zählten die Präsentationen von Triptychen u.a. von Markus Lüpertz, Rosemarie Trockel und Francis Bacon im Sakralraum hinter dem Hauptaltar. Diese Reihe wurde nach der Aufstellung von Alfred Hrdlickas Skulptur „Gekreuzigter (Torso)“ von 1959 nach lautstarken Protesten und Angriffen auf den Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner abgebrochen. Unverständnis rief unter anderem das deutlich hervortretende Genital der Skulptur, das Fehlen des Antlitzes und das Ausbleiben eines Hinweises auf die Überwindung des Todes hervor. Eine Woche vor dem offiziellen Ende der Ausstellung wurde Hrdlickas „Gekreuzigter“ verhüllt. Die mit der Kunstkommission des Erzbistums Köln abgestimmte Aufstellung der in weißem, leicht schwarz punktierten Granit ausgeführten dreiteiligen Chillida-Skulptur „Gurutz Aldare“ in dem nach der Renovierung geklärten leeren Kirchenraum von St. Peter hätte Mennekes Engagement krönen und die gleichberechtigte Begegnung von Kunst und Kirche im Sakralraum auf Dauer stellen können. „Nicht das mittlere Element der Skulptur, sondern der von allen drei Teilen umschlossene innere Raum wurde mit dem Kreuzungspunkt von Längs- und Querachse des Kirchenraums in Einklang gebracht. Auf diese Weise bildete die erspürte Mitte der Skulptur das Herzstück des gesamten Raums, die Kreuzstruktur der Kirche und des Altars treffen im Zentrum aufeinander und überlagern sich dort“. Für Chillida war es eine beglückende Erkenntnis, dass „der innere Kern jeder seiner Skulpturen in der Dialektik von Masse und Leere zu finden war. Zwar wurde er erst in der konkreten Form sichtbar, aber die ausgesparte Leere gehörte zur Idee seiner Kunst konstitutiv dazu. Gerade ‚Guruz Aldare’ machte dies in der konkreten liturgischen Nutzung augenscheinlich und greifbar. Während der Gabenbereitung und bei den Einsetzungsworten der Wandlung, stand der Priester im Zentrum der Altarskulptur und besetzte damit den inneren Raum. Zur Präfation und zu den großen Bitten des Eucharistischen Hochgebetes, wenn er die Orantenhaltung einnahm und beide Arme weit ausbreitete, trat er einen Schritt zurück, wechselte damit von der Persona Christi in die Persona Ecclesiae, und die Mitte des Altars, der innere Raum wurde frei. Diese Leere verdeutlichte in beeindruckender Weise das Unverfügbare, das Geheimnis des Glaubens, das sich zwischen Priester und Gemeinde vollzieht und in den Gaben von Brot und Wein auf dem Alter vergegenwärtigt wird. Nicht die Gemeinde, nicht der Priester, Christus selbst bringt Gott das Opfer des Lobes und Dankes dar. Die eucharistische Lebensgrundlage der Gemeinde tritt so aus dem ‚jenseits alles bloß Machbaren’ in die Mitte der heiligen Versammlung. Diese räumlich erfahrbare, mystische Qualität der Altarskulptur von Eduardo Chillida war es, die der Gemeinde einleuchtete“ (Guido Schlimbach). Der knapp zwei Jahre nach der ersten Messe an Chillidas Kreuzaltar vorgetragene liturgierechtliche Einwand der römischen Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung unterstreicht, dass der Stein der Altarmensa aus einem einzigen Stück gestaltet sein muss, weil er Jesus Christus repräsentiert. Zwar laufe das verwendete Material dem geltenden Recht nicht zuwider, aber die Dreiteiligkeit. So konnten sich Kunst und Kirche in der Kunststation St. Peter nicht auf Dauer, sondern nur in einem „lange währenden Augenblick“(Wieland Schmied) begegnen.
Es ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass auf der Folie der römischen liturgierechtlichen Argumentation die Frage verhandelt wird, ob autonome Kunst im Kirchenraum überhaupt ein eigenes Recht hat oder nicht. Für den ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation Josef Ratzinger und jetzigen Papst Benedikt XVI gibt es „ohne Glauben keine der Liturgie gemäße Kunst“. Für ihn überschreitet unsere Bilderwelt das sinnlich Erscheinende nicht mehr, die Kunst wird im wörtlichen Sinne gegenstandslos. „Kunst wird Experimentieren mit selbst geschaffenen Welten, leere ‚Kreativität’, die den Creator Spiritus, den Schöpfergeist, nicht mehr wahrnimmt. Sie versucht, seine Stelle einzunehmen, und kann dabei doch nur das Willkürliche und das Leere produzieren, dem Menschen die Absurdität seines Schöpfertums zu Bewusstsein zu bringen“ (Josef Ratzinger, Der Geist der Liturgie. Eine Einführung, Freiburg 20026). Wenn diese Auffassung Schule machen würde, wäre es prinzipiell ausgeschlossen, dass sich Kunst und Religion in autonomen Skulpturen im katholischen Kirchenraum begegnen können. Autonome Skulpturen wie Holger Walters Altar für die evangelische Stuttgarter Stiftskirche wären undenkbar. Auch postmodern-offene Begegnungsmodelle zwischen den gesellschaftlich ausdifferenzierten Teilbereichen Kunst und Religion wären im katholischen Sakralraum ausgeschlossen. Schlimbach will in seiner Arbeit dennoch belegen, dass „ Kunst, die sich autonom versteht, … eine Inspiration für Liturgie und Religion sein kann und nicht nur Ausdruck von Leere sein muss“ (Guido Schlimbach). Er greift dabei weder auf das vormodernen „Ancilla-Modell“ zurück, das die Kunst zur Hilfswissenschaft der Theologie degradiert. Auch das Modell der „Femdprophetie“ hält er nicht für zielführend. Nach diesem Modell greift die Theologie auf Traditionen zurück, die in der Kulturgeschichte aus der Kirche in die Gesellschaft eingewandert und danach als ursprünglich kirchlicher Bestand vergessen worden sind. Er setzt auf das von dem Münsteraner Pastoraltheologen Hermann Steinkamp für den interdisziplinären Dialog zwischen Psychoanalyse und Theologie entwickelte Modell konvergierender Optionen. „Bei diesem Modell geht es nicht mehr darum, Erkenntnisse oder Theorieelemente der jeweils anderen Disziplinen zu übernehmen. Die am Dialog beteiligten Disziplinen beobachten durchaus interessegeleitet, das heißt unter besonderen Optionen, aus ihrem jeweiligen Blickwinkel ein Objekt. Zum Gelingen des interdisziplinären Gesprächs verständigen sich beide Seiten über diese Optionen, benennen solche, die von der jeweils anderen Seite geteilt werden kann. Ziel des gelungenen Dialogs ist allerdings nicht der Konsens, die genannten Optionen konvergieren lediglich“ (Guide Schlimbach). Eine letzte Stelle in diesem Gespräch bleibt offen und kann nicht mehr vermittelt werden. Die Kluft zuwischen Kunst und Religion und zwischen Kunst und katholischer Kirche ist mutmaßlich unüberbrückbar geworden.
(ham)