Martin Schuster: „Picasso kann jeder?! Kreativität im Alltag"
224 Seiten, 20,5 x 12,5 cm, Klett-Cotta Verlag 2011, ISBN 978-3-608-94564-5, € 14,95
Der Autor beantwortet alle möglichen Fragen rund um Kreativität, darunter zuallererst: Was ist eigentlich Kreativität? Zahlreiche Beispiele von kreativen Einfällen, Erfindungen, Entdeckungen oder künstlerischem Schaffen in der Geschichte illustrieren, was Kreativität bedeutet. Um Kreativität zu kategorisieren und einzustufen, definiert der Autor eine Skala für Innovation und Originalität von 0 bis 7. Auf Skalenwert 7 stehen z. B. Darwin, Galileo oder Einstein, deren Gedanken komplett mit den bisherigen Vorstellungen der Menschen brachen.
Muss man also ein Genie sein, um kreativ zu sein? Nein, denn auch kleine Ideen sind kreativ, die originell und im Alltag hilfreich sind. So gesehen kann jeder kreativ sein. Im Alltag äußert sich Kreativität u. a. auch in List, Schlagfertigkeit oder Intuition.
Wie entsteht Kreativität und wie kann man sie fördern? Kreativität entwickelt sich in vielen Fällen aus einer Notlage heraus, etwa einer körperlichen Behinderung, seelischem Leid oder anderen Einschränkungen. Psychische Konflikte können vor allem zu künstlerischer Kreativität führen, wofür es viele Beispiele von Goethe bis van Gogh gibt. Bestimmte Umstände können Kreativität begünstigen, etwa Drogenkonsum, Psychosen, Außenseiterdasein oder andere persönliche Schicksale. Auch dafür führt der Autor Beispiele an. Diese These ist allerdings zweifelhaft, denn es gibt sicher genug Künstler und sonstige Kreative, die weder Drogenkonsumenten, Halbwaise oder Waise waren und sind, und gleichzeitig viele Drogenkonsumenten, Halbwaise oder Waise, die keinerlei schöpferische oder innovative Ideen haben.
Das kann neue Ideen anregen: Reisen, das Umfeld (Familie, Verwandtschaft, Partner) und günstige Umstände (viel freie Zeit, Freiheit und Geld, um alles Mögliche auszuprobieren, ohne sich dem Broterwerb oder der Kindererziehung widmen zu müssen). Außerdem spielen persönliche Eigenschaften wie Offenheit, Flexibilität im Denken und Handeln, Spontaneität und Fantasie eine Rolle. Tagträumen nachzugehen, selber kritisch zu sein und nicht alles hinzunehmen bis hin zu Nonkonformismus und Rebellentum sind ebenso förderlich wie Beharrlichkeit und die Bereitschaft, sich Aufgaben zu stellen, Informationen zu sammeln und Lösungen zu finden. Wichtig ist auch genügend Selbstbewusstsein, um sich nicht von Kritikern oder Fehlschlägen entmutigen zu lassen. (Viele gute Ideen wurden ursprünglich nicht als solche erkannt. Oft stehen nicht die eigentlichen Erfinder im Vordergrund, sondern diejenigen, die die Idee vermarkten.)
Kleine Übungen und Tipps helfen der Kreativität auf die Sprünge. Im Kapitel „Wie erzeugt man Einfälle?" sind Techniken der Ideenfindung beschrieben. Dazu gehört über den Tellerrand in andere Fachgebiete zu blicken oder Einfälle von Mitmenschen und den Zufall zu nutzen (aufmerksam sein!), auch wenn er zunächst negativ scheint. Der sogenannte morphologische Kasten (eine Art Matrix der Möglichkeiten) bietet einen systematischen Weg. Möglich ist auch, das Unbewusste einzusetzen (in Form von spontanen Einfällen oder Träumen), in Bildern zu denken oder sich das Gegenteil des Naheliegenden vorzustellen. Eine andere Methode ist, die Rollen des Fantasten, Tüftlers, Realisten und Kritikers selber getrennt einzunehmen - auf keinen Fall alle gleichzeitig! Zuerst müssen wir uns Raum geben, Ideen zu wälzen und weiterzuspinnen. Die kritische Prüfung kommt an anderer Stelle.
Kreativität kann und sollte schon bei Kindern gefördert werden (die viel Fantasie und daher kreatives Potenzial haben), indem man ihnen neue Aufgaben stellt und Innovationen in Bildern oder Basteleien erkennt, benennt und lobt. Außerdem empfiehlt es sich, kreative Vorbilder zur Verfügung zu stellen (etwa in Kinderbüchern oder Comics).
Interessant und kurzweilig sind die vielen historischen Beispiele (auch wenn manche schon bekannt sind). Ob die Tipps helfen, im Alltag mehr Kreativität zu entwickeln, muss jeder für sich selbst herausfinden.
(Ursula Wirtz)