Katalog zu den gleichnamigen Ausstellungen vom 16.09. .- 14.11.2010 in der Kunsthalle Nürnberg und vom 21.01. - 27.03.2011 im Lentos Kunstmuseum Linz
Hrsg. von der Kunsthalle Nürnberg und dem Kunstmuseum Linz mit Interviews von Mathilde ter Heijne mit einer
Mosuo-Frau, Pirkko Fihlman, Aili Nenola, Christina von Braun, Messanh Amedegnato und Asena Günal
Kunsthalle Nürnberg/Lentos Kunstmuseum Linz/Verlag für moderne Kunst Nürnberg, 2010, ISBN 978-3-86984-130-4, 104 S., zahlreiche s/w- und Farbabbildungen, Klappenbroschur, Format 24 x 17 cm, € 15,-- (Museumsausgabe)
Die Publikation dokumentiert zentrale Arbeiten der niederländischen Künstlerin aus den letzten 12 Jahren und erlaubt damit einen Überblick über das Installationen, Skulpturen, Fotografien, Zeichnungen, Bücher-, Postkarteneditionen und Videoarbeiten umfassende Werk. Für Mathilde ter Heijne bleibt es unbefriedigend, dass Künstlerinnen in traditionellen patriarchalen Systemen bis auf Ausnahmen wie Geertruyd Roghman (1602 - 1657) keine Rolle spielen. Ihre unter anderem 2005 im Hospitalhof Stuttgart gezeigte installative Postkartenedition ‚Woman to go', ihre Weiterentwicklung 'Unknown Women', 2010, Serie von acht 50 x 70 cm großen Abzügen von Originalfotos von Frauen aus der Zeit der Anfänge der Fotografie bis in die 1920er Jahre und ihre skulpturale Werkgruppe ‚F.F.A. (Fake Female Artist Life)' wollen diesen Umstand korrigieren: ter Heijne stattet die sieben Soundskulpturen mit Abgüssen ihres Gesichts und ihrer Hände und teils erfundenen, teils realen Biografien aus, lässt sie auf Tonspuren Texte sprechen und Lieder singen. Dazu kommen Arbeiten, die ihre Beschäftigung mit einer matriarchalen Gruppe in Mosuo, Klagelied-Sängerinnen in Finnland, Hexenkulten, Magie, Voodoo und neuheidnischen Zaubertraditionen zusammenfassen. Ihre jüngste Arbeit ‚give and take', 2010, kommentiert und kritisiert die in Museumshops üblich gewordene Kommerzialisierung von Kunst. Ter Heijne propagiert stattdessen den Tauschhandel. Sie bietet Artikel wie ihr Poster ‚Fuck Patriarchy!', 2008, 50 x 70 cm, und das T-Shirt ‚Rabenmutter', 2010 zum Mitnehmen an. Wer etwas mitnimmt, muss etwas dagegensetzen. Der Tausch wird formell protokolliert: „I take:.../I give: .../email:...". Das Interview mit Christina von Braun macht deutlich, dass die Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit durchaus nicht in der Linie von Johann Jakob Bachofen und Heide Göttner-Abendroth gedacht werden muss. Von Braun benutzt die Worte Patriarchat und Matriarchat nicht gerne, weil sie implizieren, „dass es irgendwann einen Moment gegeben hat, wo die Männer die Herrschaft übernommen haben. Historisch vollkommen unsinnig... Selbst eine Elite könnte aus Männern und Frauen bestehen... Wenn Sie so ansetzen, dann kommen Sie darauf, dass diese Vorstellung mit der Entstehung des alphabetischen Schriftsystems in Verbindung steht. Daraus leitet sich die Vorstellung ab, dass der männliche Körper die Schrift repräsentiert und der weibliche Körper Oralität, die mündliche Überlieferung. Erst von diesem Moment an ... entsteht eine definitorische Macht des Männlichen gegenüber der Materie, symbolisiert im weiblichen Körper" (Christina von Braun).
(ham)