Patmos-Verlag der Schwabenverlag AG, Ostfildern, 2010, ISBN 978-3-491-72563-8, 600 S., zahlreiche s/w- und Farbabbildungen, Leinen gebunden mit Schutzumschlag, Format 26,5 x 20 cm, € 48,--
Hubert Halbfas, geboren 1932, zuletzt Professor für Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Reutlingen plädiert in seinem multiperspektivisch angelegten Grundlagenwerk für die Neuerfindung des christlichen Glaubens aus der Substanz des Reich-Gottes-Programms Jesu. Das Christentum hat für ihn Zukunft, wenn es sich an den jesualischen Anfängen orientiert und auf den gelebten Glauben statt auf das Dogma setzt. Mit Gianni Vattimo, dem Denker des schwachen Glaubens geht Halbfas davon aus, dass die Wahrheit, die uns laut Jesus befreien wird, weder die objektive Wahrheit der Wissenschaft noch die der Theologie ist. „Genau so wie die Bibel kein Buch über Kosmologie ist, ist sie kein anthropologisches oder theologisches Handbuch. Die schriftliche Offenbarung ist nicht dazu da, uns wissen zu lassen, wie wir sind, wie Gott beschaffen ist, was das ‚Wesen' der Dinge ist oder die Gesetze der Geometrie... Die einzige uns durch die Heilige Schrift offenbarte Wahrheit, die im Laufe der Zeit keinerlei Entmythisierung erfahren kann ..., ist die Wahrheit der Liebe, der caritas" (Gianni Vattimo). Biographische Skizzen unter anderem von Vilma Sturm, Simone Weil, Hugo Lassalle, Henri Le Saux, Hélder Cámara und Heinrich Missalla zeigen, wie der Glaube im Zeitenumbruch gelebt werden kann. „Der Weg zur Gotteserfahrung setzt nicht neben oder hinter den regulären menschlichen Erfahrungen an, sondern in diesen selbst" (Hubert Halbfas). Halbfas geht es deshalb nicht wie Klaus-Peter Jörns um notwendige Abschiede von überkommenen Glaubensvorstellungen und schon gar nicht wie Josef Ratzinger um Um- und Neuinterpretationen von Aufklärung und säkularer Vernunft, sondern um die Anerkennung religionskultureller Verschiedenheit in pragmatischer Absicht: Die zukünftige Gestalt des Glaubens liegt nicht in der Lehre und den Dogmen, sondern im Leben und im Tun der Liebe. Das hindert aber Habfas nicht daran, seine grundlegende These in der Auseinandersetzung mit für ihn wesentlichen Denkern wie Jean Gebser, Karl Jaspers, Willigis Jäger, Eugen Drewermann und anderen zu entwickeln. Die Argumentation im Haupttext wird in Begleittexten an den Randspalten variiert, kommentiert und erweitert. Bilder von den Höhlen von Lascaux bis zur Postmoderne diskutieren auf einer weiteren Ebene. Eine hervorgehobene Rolle kommt dem Leipziger symbolischen Realisten Michael Triegel zu. Er ist in dem Werk mit nicht weniger als zehn Malereien zu traditionellen Themen der christlichen Ikonographie wie der Geburt Jesu (Vater und Tochter malen Mutter und Sohn), 2005, dem Abendmahl (Abendmahl, 1994) und der Verklärung Jesu (Transfiguration, 1992) vertreten. Auch wenn Triegel keiner Religion angehört, setzt er sich mit den Bildern und Symbolen des christlichen Glaubens auseinander. Er untersucht sie auf ihre Gültigkeit. Er befragt sie, widerspricht ihnen, ironisiert und paraphrasiert sie und stimmt ihnen auch zu. „Vor allem interessant für mich ist aber auch die Archetypik der Figuren und Geschichten, die nach wie vor ihre Gültigkeit haben. Es geht doch immer noch um Liebe, Geburt, Glück, Leid, Verrat , Tod und Erlösung (oder ihre Unmöglichkeit). An der Stelle, wo die Religion in der Moderne versagt, muss die Kunst einspringen und deren Aufgabe übernehmen. Gefährlich wird es aber, wenn sie Realität sein will. Wehe, wenn Gott tot ist und wir finden keine humane Kompensation für die entscheidende Leerstelle. Die Kunst schafft das natürlich nicht. Daher bleiben meine Bilder immer Bilder einer Sehnsucht" (Michael Triegel). Ich mutmaße, dass die Bilder von Triegel für Halbfas deshalb hervorstechen, weil sie den Traditionsabbruch im Gewande der Tradition unabweisbar machen. Der metaphysische Himmel hat Löcher. Jesus sitzt allein am Abendmahlstisch. Es bleibt offen, ob wir in eine andere Welt hinein verwandelt werden (Michael Triegel, Transfiguration, 1992).
(ham)