Eine Geschichte des 20. Jahrhunderts
Fundus-Bücher 177; Philo Fine Arts, Hamburg 2009, ISBN 978-3-86572-655-1, 229 S., Hardcover gebunden mit Lesebändchen, Format 16,5 x 19,3 cm, € 14,--
Robert Flecks Geschichte der Biennale von Venedig ist die erste zusammenfassende Darstellung der für ihn historisch bedeutsamsten Kunstveranstaltung des letzten Jahrhunderts. In die Darstellung fließt das in Bibliotheken und in Gesprächen mit Beteiligten, in Venedig und in Ateliers erreichbare Material ein, zu dem Fleck als Kommissar des österreichischen Pavillons von 2007, als Direktor der Bundeskunsthalle Bonn und als Kunstkritiker Zugang hatte. Das Archivio Storico der Biennale war ihm im Zeitraum der Erstellung des Manuskripts nicht zugänglich. Deshalb versteht er seinen Essay auch als Appell, „so viele Doktoranden wie möglich auf die Geschichte der Biennale von Venedig …. loszulassen“ (Robert Fleck).
Flecks flüssig geschriebene Darstellung hat Tiefgang und scheut sich auch nicht, die Bedeutung von anderen Großveranstaltungen wie der documenta in Kassel zurechtzurücken. Die beiden ersten Kapitel zeichnen die veränderte geistige Großwetterlage zu Beginn des 20. und des 21. Jahrhunderts unter dem Stichwort Provokationskunst nach. Während sich das Massenpublikum bei der ersten Biennale im Sommer 1895 über Giacomo Grossos großformatiges Gemälde „Il supremo convegno“ erregt, das fünf junge Frauen und einen jungen Mann aus reichen Turiner Familien beim kollektiven Liebesspiel zeigt, liefert im Juni 2001 Maurizio Cattelan mit „La Nona Ora“ den entscheidenden Anstoß: Das Werk zeigt den lebensecht modellierten damals amtierenden Papst Johannes Paul II in langem weißen Gewand, der von einem Meteoriten niedergestreckt wurde. Der Meteorit liegt noch auf seiner Hüfte. Der Heilige Vater krümmt sich auf seinen silbernen Stab gestützt auf dem Boden. „Um die Szene besonders glaubwürdig zu gestalten, hatte der Künstler zudem ein Loch in die gläserne Decke des Raumes schlagen lassen. Die Glasscherben lagen verstreut auf dem roten Teppich“ (Robert Fleck). Weitere Kapitel widmen sich unter anderem der Erfindung der Nationalpavillons im Jahr 1907, der Funktionalisierung der Biennale durch Hitler, Mussolini und die faschistische Internationale im Jahr 1934 und dem Trumpf der US-amerikanischen Avantgarde im Jahr 1964. Das letzte Kapital bleibt fiktional. Es ist vor der Eröffnung der 53. Biennale geschrieben, weiß schon um die Verleihung des großen Preises an Yoko Ono und erwartet, dass sich die beginnende Ablösung vom 20. Jahrhundert in der Zurückdrängung der Formensprache der klassischen Moderne und der Avantgardekunst zeigt: „An ihrer Stelle war aus der Objektkunst der sechziger, siebziger und achtziger Jahre und aus den Einflüssen der Medienkunst der letzten Jahrzehnte ein neues formales Vokabular entstanden, das durch den pragmatischen Umgang mit den Zeichensystemen der Alltagswelt hervorstach. Auch die 53. Biennale von Venedig stand im Zeichen der umfassenden Globalisierung des Kunstgeschehens seit Beginn der neunziger Jahre“ (Robert Fleck). Dass Tobias Rehberger den Goldenen Löwen für die beste künstlerische Arbeit erhalten würde, war bei der Drucklegung des Werkes noch nicht bekannt.
(ham)