Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 09.05. – 05.09.210 in der Fondation Beyeler, Riehen/Basel,
hrsg. von Dieter Buchhart und Sam Keller mit Texten unter anderem von Glenn O’Brien, Dieter Buchhart und Robert Storr
Fondation Beyeler, Riehen/Basel; Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 2010, ISBN 978-3-905632-80-4, 224 S., zahlreiche s/w- und Farbabbildungen, Klappenbroschur, Format 30,5 x 24,7 cm, SFR 68,--(Museumsausgabe)
22 Jahre nach dem allzu frühen Tod des damals 27-jährigen Jean-Michel Basquiat am 12. August 1988 in seinem Loft in der Great Jones Street in Manhattan braucht eigentlich niemand mehr am Kult um den Künstler und an seiner Legende zu stricken. Gleichwohl ist die von der Fondation Beyeler organisierte große Basquiat-Retrospektive mit 150 Gemälden, Zeichnungen und Objekten davon nicht ganz frei, wenn Glen O’Brian an die Romanze zwischen Uptown und seinen Graffitischreibern und Hip-Hop-MCs und –DJs und die Diskriminierung Schwarzer durch weiße Taxifahrer in den ersten 1980ern erinnert und dann schreibt: „Ich wäre ausgerastet. Denn die Kunst war unser Krieg… Freund oder Feind erkannte man, indem man seinem Gegenüber ins Auge blickte und ein paar Worte mit ihm wechselte, und auf einmal stand die Zukunft der ganzen Zivilisation auf dem Spiel. Es ging nicht um schwarz oder weiß, hetero oder schwul, reich oder arm; aber darum ging es auch. Es ging um eine Vision. In diesem Moment und an diesem Ort brauchte man nur wie zum Zeitvertreib einen Bleistift in die Hand zu nehmen, um ein Held zu werden und die Welt zu verändern. Jean hat das getan. Es war sein Schicksal. In den Bildern ist das alles drin - in den Masken, in den Kronen und in den magischen Worten. Er war in New York, weil er wusste, dass diese Stadt das Schlachtfeld war, auf dem die Zukunft entschieden wurde. Er kannte seinen Picasso und der kannte seinen Warhol. Dieser Teufelskerl lernte von Warhol, weil er immer den Sieg im Auge behielt. Und er kannte den Rhythmus, die Wechsel und die Geheimlosung. Er wollte Weltmeister werden im Schwergewicht. Und er wurde es. Ich hoffe, dass ihm das klar war. Er schaffte es, durch einen technischen K.o….“ (Glenn O’Brien). Für die meisten steht die Genialität des Zeichners und Malers seit seinen ersten mit dem Pseudonym SAMO© signierten malerisch-philosophischen Graffiti an den Wänden von Manhattan und seiner Ausstellungsbeteiligung in der P.S.1 in Long Island City in Queens fest: Bruno Bischofsberger wird auf ihn aufmerksam. Er bringt ihn später mit Andy Warhol und Francesco Clemente zusammen. Bei der von Rudi Fuchs kuratierten Documenta 7 in Kassel ist Basquiat der jüngste von 176 Künstlern und damit als erster Schwarzer in den künstlerischen Olymp aufgestiegen. Zwischen 1982 und 1988 entstehen etwa 1000 Bilder und 2000 Zeichnungen. Nach Basquiats Urteil lassen sie sich auf keinen gemeinsamen Nenner bringen. Aber in allen finden sich schwarze Menschen. „Der schwarze Mensch ist der Protagonist in den meisten meiner Gemälde. Mir war aufgefallen, dass ich kaum jemals Bilder mit Schwarzen gesehen hatte“ (Jean-Michel Basquiat). Sein rüdes ‚Self-Portrait’, 1982, Acryl und Ölkreide auf Leinen, 193 x 239 cm, strotzt vor Selbstbewusstsein und Kraft und wird zum Urbild des Typus. Arbeiten wie der mit einer Dornenkrone ausgezeichnete gefallen Engel ‚Untitled (Fallen Engel)’, 1981, und die späte Arbeit ‚Riding with Death’, 1988, zeigen, dass er um die Möglichkeit des Absturzes weiß. Letztere imaginiert einen Schwarzen, der auf einem nur durch Hüftknochen und einen Totenschädel angedeuteten Pferd reitet. ‚Riding with Death’ wird zur Ikone für Basquiats Tod.
Der excellente Katalog verzichtet auf den Goldschnitt und leitet zur kunsthistorischen Normalität über. Er schlägt fünf Hauptphasen vor, in die das Werk von Jean-Michel Basquiat eingeteilt werden kann. Wenn man dem Baseler Urteil folgt, erreicht das Werk in der dritten Phase im Frühjahr 1983 seine höchste Komplexität.
(ham)