Katalog zur gleichnamigen Ausstellungen vom 04.03. – 23.06.2010 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt, vom 24.06. – 03.10.2010 in der Villa Stuck München und vom 22.10.2010 – 23.01.2011 in der Sammlung Falckenberg Hamburg
Hrsg. von Selima Niggl, Pia Dornacher, Max Hollein mit Texten unter anderem von Margrit Brehm, Justin Hoffmann, Axel Hinrich Murken und Selima Niggl
Hachmannedition, Bremen, 2010, ISBN 978-3-939429-76-0, 132 S., ca. 100 Farbabbildungen und 20 s/w-Fotografien, Hardcover gebunden, Format 23 x 25 cm, € 24,80
Der 1941 geborene Uwe Lausen zählt zu den wichtigsten, heute aber weitgehend vergessenen figurativen Malern der 1960er-Jahre in Europa. Der musisch, künstlerisch und intellektuell hochbegabte aber persönlich extrem schwierige Einzelgänger hat schon im Stuttgarter Dillmann-Gymnasium von einer Schriftstellerkarriere geträumt. Sein bei einem Kunstkurs im dortigen Jugendhaus gefertigter Holzschnitt „Der Redner“ wurde 1954 in der Stuttgarter Zeitung veröffentlicht. Sein Philosophie- und Jurastudium zuerst in Tübingen und dann in München waren von der Gründung der Literaturzeitschrift „ludus“ (1961) und Begegnungen mit den Künstlergruppen SPUR (1957 – 1965) und der „Situationistischen Internationale“ (1957 – 1972) flankiert. Es folgte eine autodidaktische, zuerst an den informell-figurativen Ansätzen und dann an Friedensreich Hundertwasser und Francis Bacon orientierte Phase experimenteller Malerei in den Jahren 1962 – 1964. Im Zentrum stand die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper und dem Fleisch. 1965/66 bricht Lausen mit seiner bisherigen Bildsprache und findet in der Auseinandersetzung mit der
Popart und dem Hyperrealismus zu dem ihm eigenen kühl beobachtenden Stil. Seine Bilder reflektieren seine Kritik an den Widersprüchen und Spannungen der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft und am eigenen Unvermögen. Das Wohnzimmer wird zum Tatort, zum Ort der Gewalt, der Vergewaltigung, des Selbstmords. Mit 26 Jahren schreibt Lausen: „Frisch bezogenes Bett, 18 Grad Zimmertemperatur. Rolling Stones im Background, falscher Wein nicht unter acht Mark. Dazu eine Henkersmahlzeit aus grünen Butterbohnen, Schlosskartoffeln, Fleisch“. In seiner Malerei ‚Ich liebe das Leben’, 1967 hängt ein etwas blasser Endvierziger mit aufgeschnittenen Pulsadern in seinem Sofa. Eine zweite Person liegt vor der Wohnzimmertüre in ihrem Blut. Als sich Lausen 1970 in Beilstein bei Heilbronn im Hause seiner Eltern das Leben nimmt, hat er keine Schlosskartoffeln, dafür aber LSD im Blut.
Der monographische Katalog beleuchtet unter anderem Lausens Auseinandersetzung mit der internationalen Avantgarde und seine Vorstellung von Abreaktion durch die Darstellung von Gewaltszenarien. Die dem Band beigegebenen schwarz-weiß Fotografien seiner Ehefrau Heide Stulz lassen das private Umfeld erahnen.
In Lausens Aphorismussammlung liest man unter dem Stichwort Kunst: „Ein Kunstwerk ist umso mehr Realität, je tiefer es aus Realität kommt und je weiter es sich von Realität löst. Das kunstwerk ist ein ding: es ist nicht tief, sondern oberflächig, es ist nicht bedeutungsvoll, sondern materiell. nichts schaut heraus, viel wird hineingesehen. darum kann ein kunstwerk ewig gültig sein: Das leere kunstwerk wird vom jeweiligen beobachter gefüllt.“ (Uwe Lausen).
(ham)