Bildpredigten und Kunstgottesdienste. Hg. v. Markus Zink (Materialhefte des „Zentrums Verkündigung der EKHN“, Heft 112). Frankfurt 2009, 263 S., 1 CD-ROM, € 13,80
Markus Zink hat 22 Predigten herausgegeben, die sich sowohl auf einen biblischen Text als auch auf ein Kunstwerk beziehen. Die Kunstwerke sind bis auf wenige Ausnahmen in den letzten 30 Jahren entstanden. Die biblischen Texte sind mit der Predigt abgedruckt, die Kunstwerke sind als farbige Drucke meist vor der Predigt beigegeben, wobei auch zunächst in das Kunstwerk eingeführt und in der Regel der Künstler vorgestellt wird. Dann folgt die Predigt. Der Predigt lässt der Herausgeber einen Kommentar zur Predigt folgen, der ihre Aussagen reflektierend herausstellt. Dem Band ist eine CD-ROM beigefügt, sodass die Bilder und Texte für Kunstgottesdienste verwendet werden können, indem die Lesenden sie ihren Zwecken entsprechend adaptieren können.
In der Einleitung stellt Zink fest, dass die Bilder keine Illustrationen von biblischen Texten sind, sondern ihren eigenen Zugang zur Sache finden, somit also „autonome“ Kunstwerke sind und mit der Predigt als solche gewürdigt werden. Der Predigthörende hört also die Predigt mit Blick auf das Bild. So ergeben sich Blickwechsel zwischen Bild und betrachtender Person, in denen der Puls des Lebens spürbar werden soll. Diese wechselnde Blicke als Bildinterpretation in Worte zu übersetzen, wird als Kasualpredigt verstanden. Die Bildpredigt wird deshalb als eine Kasualpredigt verstanden, weil der Anlass des Bildes in die Predigt mit hineinspricht. Somit bewahrt das Kunstwerk ein eigenständiges Sinngebilde und wird nicht zu Zwecken einer Illustration von Predigttexten vereinnahmt. Die wechselnden Blicke vermögen eine eigene Art von Sinngenerierungzu erzeugen, die in der Predigt zu Wort kommt. An zwei Beispielen sei dies verdeutlicht:
Christhard-Georg Neubert beginnt seine Predigt mit dem Predigttext Mk 4,35-41, der Sturmstillung: Jesus und seine Jünger fahren in einem Schiff, das in Seenot gerät. Dieses „Bild“ nimmt er auf als Bild für die Kirchensituation und für den Glauben heute. Die Kirche und ihre Zukunft erscheinen als ebenso ungewiss wie der Ausgang der Seefahrt der Jünger mit Jesus. Das Bild von Ulrich Baehr „Das 20. Jahrhundert – XIII (2001)“ zeigt einen Schiffskoloss, der im Meer gekentert ist. Baehr scheint das 20. Jahrhundert als gescheitert anzusehen. Beide „Bilder“ interpretierend macht Neubert deutlich, dass dem Glauben trotz Jesu Sturmstillung kein Optimismus eigen ist, sondern er ist und bleibt die gewagte Existenz, die in Zweifel und Hoffnung besteht.
Helmut A. Müller legt zuerst die Taufe Jesu (Mt 3,13-17) aus. Er arbeitet die Beziehungen zwischen Johannes, Jesus und der aus dem Himmel zu hörenden Stimme heraus, die sagt: Du bist mein lieber Sohn. Das Kunstwerk von Gustav Kluge „Fütterung eines ungestalteten Kindes“ von 1984 ist während dieses Predigtteils noch mit einer vom Künstler vorgesehenen Leinwand verhüllt und wird erst danach enthüllt. Zu sehen ist ein Kind, das in einem Käfig eingesperrt dasteht; ein Mann, wohl der Vater, steht davor und füttert es. Daneben steht eine Frau, wohl die Mutter, die aber nur teilweise zu sehen ist. Wieder werden die Beziehung beschrieben und die Frage gestellt: Können diese Eltern zu ihrem behinderten Kind sagen: Du bist mein lieber Sohn? Müller macht deutlich, dass Eltern auch mit behinderten, ungestalteten Kindern glücklich werden. Ambivalenzen zwischen Text und Bild werden herausgearbeitet, und Müller beendet seine Predigt mit der Hoffnung, dass auch Gott aus dem Himmel zu ihm selbst, zu uns Menschen sagen kann: Du bist mein lieber Sohn. Sodass wir Menschen auf der Erde und im Himmel willkommen sind.
In einem Nachwort geht Horst Schwebel dem Glauben und dem Sehen nach. Steht zwar in Rede, dass der Glaube aus dem Hören und nicht aus dem Sehen kommt, so hebt Schwebel doch die Bedeutung des Sehens für den Glauben hervor, die sich ebenso auf biblische Texte berufen kann. Denn Hören wie Sehen gehen mit Sinnkonstitutionen einher, auf die es für den Glauben ankommt. Das Sehen – als sinnbezogener Erkenntnisvorgang – legt er systematisch dar als Orientierungssehen, als fokussierend-selektierendes Sehen, als imaginierendes Sehen und als sehendes Sehen. Letzteres Sehen hat kein „Um-zu“ wie das Orientierungssehen, das uns ortsbedingt orientieren kann, wie das fokussierende, selektierende Sehen, das uns einen Ausschnitt, einen Sachverhalt genau erkennen lässt, wie das imaginierende Sehen, das uns Bilder mit Emotionen, Erinnerungen etc. verbinden lässt. Das sehende Sehen ist ein Sehen um einer Sache selbst willen, es ist ein Schauen. Schwebel plädiert dafür, mit diesem sehenden Sehen, mit diesem „Auge des Glaubens“ moderne Kunstwerke wahrzunehmen.
Zu allen erklärenden und reflektierenden Ausführungen dieses Buches ist allerdings kritisch anzumerken, dass zwar die Bilddimension der Predigt gewürdigt wird, darüber aber der biblische Textbezug der Predigt fast unberücksichtigt bleibt. Es wäre hervorhebenswert gewesen, wie in diesen Predigten sowohl Texte wie Bilder ihre eigenständigen Rollen einnehmen, wie sich daraus und nicht ausschließlich in der Betrachtung des Bildes wechselnde Blicke ergeben. Ganz abgesehen davon, dass ja Texte auch zuerst gesehen, d.h. gelesen werden müssen, bevor sie gesprochen und gehört werden können. So gesehen haben Text und Bild – beide können auf ihre Weise Kunstwerke sein – erstaunliche Gemeinsamkeiten.
(Jörg Neijenhuis)